Antikrisenimpressionen, oder: Berlin…

Berlin stinkt! Nach Hundekacke, nach Abgasen, nach Müll… So viel zu ‚Berliner Luft mit ihrem holden Duft’…

Berlin ist dreckig! Penibel zugekotete Bürgersteige, Mülltüten auf den Strassen, Schrottfahrräder an den schiefen Laternen… ach nee, kein Schrott, die werden noch benutzt… na, egal…

Und doch: Berlin ist schön! Nicht schick, nicht modern, nicht vorbildlich, nicht adrett, nein: schön! Und liebenswert! Und dem Paranoiker immer (wieder) eine Reise wert!

Das beweist schon alleine die Tatsache, daß er innert eines Jahres bereits die zweite Berlinliebeserklärung abgibt…  (die erste siehe hier).

Hat sich seitdem etwas, vielleicht sogar viel verändert? Wohl kaum – aber der Paranoiker sieht die Stadt aus anderen Perspektiven, hat er doch diesmal (endlich) keine dienstlichen Verpflichtungen im Nacken und auch etwas mehr Zeit. Und siehe da:

Berlin swingt! War es noch bis vor kurzem üblich, dass in jeder deutschen Großstadt oder denen, die sich dafür hielten, mindestens zwei Trupps Indios in der Tracht, die der Deutsche für landestypisch hält, von grauenhaftem Synthi-Gewaberer untermalt in Panflöten hauchten und einem, unter anderem, auf immer und ewig den Spaß an so manchem Simon & Garfunkel Hit vergällten, so sind mittlerweile osteuropäische Viererkombos auf dem Vormarsch, die, mit Kontrabass, Gitarre, Quetschkommode und Saxophon oder Klarinette bewehrt, vor sich hin jazzen. Alles in allem wäre dies ja eine begrüßenswerte Entwicklung, allerdings schaffen es diese Herren eine dermaßige Geräuschkulisse aufzubauen, dass die Ohren anfangen zu klingeln – ganz besonders bevorzugt sind natürlich Standorte genau vor oder gegenüber gastronomischen Einrichtungen, wo der sonnenhungrige Tourist oder Eingeborene auf dem Trottoir sitzend und seinen Latte oder sein Bier schlabbernd keine Chance hat, der Kakophonie zu entfleuchen, genauso wenig, wie dem salbungsvollen Blick, wenn denn der Hut kreist – gleich am ersten Abend mußte der Paranoiker auf sein wohlverdientes Kölsch in der ‚Ständigen Vertretung’ verzichten, weil das Spreeufer an diesem Tag wohl besonders Musiker-afin gewesen zu sein scheint. Nichtsdestotrotz, es sei angemerkt: qualitativ könnten einige dieser Straßenmusiker locker auf Jazzbühnen Erfolge feiern! Die schönste musikalische Darbietung genoss der Paranoiker allerdings abends auf dem Gendarmenmarkt, wo in beschaulicher Ruhe Hitze und Hektik von Berlin Mitte ausgeschlossen wurden, nicht zuletzt dank des wundervollen Geigenspiels einer begabten Dame.

Berlin ist schwul! Nirgends sonst (außer vielleicht in Amsterdam) hat der Paranoiker bisher so viele schwule Pärchen auf der Strasse gesehen. Berlin hat sogar ein ‚Schwules Museum’. Und wie schräg und andererseits eben dadurch auch auf angenehme Art normal diese Stadt ist, fällt einem gerade dann auf, wenn man so ungebremst aus dem konservativen Bayern einfällt. Und damit einher geht eine andere Eigenschaft der Hauptstadt:

Berlin ist entspannt! Um kurz nach neun Uhr morgens macht sich der Paranoiker auf in Richtung Museumsinsel, als vor ihm aus einer Tür ein junger Mann auf die Straße tritt, sich genüßlich seinen eindrucksvoll großen Joint anzündet, um sich dann neben seine verbollerte Vespa, die, mit einem Kettenschloß an einen Laternenmast gekettet, auf der Seite liegt, zu setzen und sein Kraut zu inhalieren. Überhaupt: Wäre der Paranoiker einmal schlecht drauf gekommen, er hätte nur ab und an tief im Vorübergehen inhalieren müssen, und alles wäre wieder easy gewesen… Berlin ist locker…

Berliner stehen gerne an! Und nicht nur im Osten, wo sie es ja noch von früher gewohnt sein dürften (autsch…!). Nee, direkt um des Paranoikers Ecke gab es beispielsweise einen Stand mit dem schönen Namen ‚Mustafas Gemüsekebap’. Während morgens noch Kopftuch-bewehrte Frauen fleißig besagtes Gemüse kleinschnibbeln, stehen spätestens ab Mittag ungelogen mindestens 50 oder mehr Leute an! Und am Currywurst-Stand daneben auch! Ist das Essen gerade hier so gut? Dem Paranoiker kommen Zweifel, als er an anderen Ständen und Buden vorbeikommt: Det is hier normal! So wird der Tourist gleich auf die langen Schlangen eingestimmt, die er vorfindet, wenn er eine halbe Stunde oder auch später nach Öffnung der Museen auf der Museumsinsel (siehe oben) etwas Kultur genießen will – von daher: entweder früh aufstehen… oder anstehen… oder halt mal an den richtigen Ecken tief durchatmen (siehe oben)…

Berliner sind nett! Jawoll! Kaum zu glauben, aber wahr. Vor etwas mehr als zehn Jahren weilte der Paranoiker in der Metropole, und damals wurde von der BVG, dem Berliner Verkehrsverbund (der trotzdem nicht BVV sondern BVG heißt – wen es interessiert, warum dies so ist, dem sei die Lektüre der ‚Gebrauchsanleitung für Berlin’ anempfohlen, wo auch sonst manch eine witzige Anekdote zu lesen ist), gerade die ‚Woche der Freundlichkeit’ ausgerufen, die sich darin niederschlug, daß in U- und S-Bahn nach dem lautsprecherverzerrten ‚Z’rücktreten’ ein gepresstes ‚Bit-te’ hörbar widerwillig nachgeschoben wurde – wie anders inzwischen! Gut, in der U- und S-Bahn hört man jetzt, wie anderorts auch, ein ‚zurückbleiben bitte’, obwohl sich der Paranoiker noch nie gerne attestieren ließ, er sei zurückgeblieben, aber ansonsten ist der jemeine Berliner aufgeschlossen, hilfreich und gut. Sogar die Bettler sind höflich und bedanken sich für ein paar Groschen. Und dem Paranoiker ist es sogar zweimal passiert, daß er auf der Straße mit ‚Probleme?’ angesprochen wurde. Sein ‚Nee, wieso’ wurde dann mit einem ‚Na, se ham so fragend ausjesehn’.

Teil 2

 

2 Gedanken zu „Antikrisenimpressionen, oder: Berlin…“

  1. Wow, wattn schicke Liebeserklärung!

    PS: die begabte Dame geigt da regelmäßig und sowohl die Curry (natürlich ohne Darm) als auch Mustafas Essen sind sooo lecker, wie die Schlange andeuten lasst…. Manchmal lohnt sich anstehen….

  2. Na, und was haste nu gemacht in Bärlin? Wo haste dein Kölsch „geschlabbert“? Was kann man denn in Berlin auch besseres machen mit dem „Kölsch“ als es verschlabbern aufm Trottoir oder so, ne!
    Ansonsten hast du ja wohl hoffentlich auch ein bisschen Spaß gehabt, trotz deines Gesichtsproblems!!
    Bin gespannt auf den zweiten Teil – Geil!

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