Antikrisenimpressionen, oder: Berlin, die zwohte…

Berlin ist eine Baustelle! Überall wird gewerkelt, ragen Kräne in den Himmel, stehen Gerüste und Baucontainer, rattern Bohrer und Preßlufthämmer. Die halbe Museumsinsel ist umstellt mit tösendem Gerät, welches das Spreewasser abpumpt und umleitet – diese ganzen riesigen Gebäude, alle auf Pfählen ruhend in sumpfigem Grund – da wird einem richtig mulmig!

Museumsinselbaustellenimpression

Dummerweise wird auch in der Friedrichsstraße gebuddelt – und natürlich genau dort ein neues U-Bahn-Kreuz gebaut, wo der Paranoiker mehrmals am Tag passieren muß. Demzufolge kann er eine Station U-Bahn fahren, dann auf den Pendelzug warten, der ihn wieder drei Stationen weiterbringt, dann 500 Meter zu Fuß gehen, um dann wieder unter die Erde zu klettern, oder sich ‚jetzt ist doch eh schon wurscht’ zu denken und sich die Füße weiter platt zu laufen. Der kleine Zwangsausflug in die Einkaufsmeile Friedrichsstraße führt aber wenigstens eine skurrile Absurdität vor Augen: Bis auf das übliche Klientel (H&M und Konsorten) konnten sich nämlich kaum Warenhäuser, ganz zu schweigen von kleinen Läden, in den riesigen Gebäuden halten, weshalb in den Schaufenstern jetzt Autos (sic!) stehen – tja, sämtliche Automarken scheinen eingezogen zu sein, und in den Verkaufsräumen ist auch ganz schön was los! Vielleicht ist das aber auch die Gegenreaktion auf den Stillstand des Autoverkehrs rund um die Baustelle. Und dann gibt es da noch den großen Platz, an dem einst der Palazzo prozzo stand, bevor er Asbestverseuchungs-bedingt abgerissen wurde, und wo jetzt ein neuer Palazzo prozzo entstehen soll: das humboldtforumsche Stadtschloßimitat. Der Paranoiker kann nur hoffen, daß es ähnlich läuft wie beim Holocaust-Mahnmal, wo auch jahrelang diskutiert und umdisponiert wurde, um am Ende etwas zu bauen, was ihn zutiefst berührt und beeindruckt – vielleicht wird es bei diesem Projekt ja ein vergleichbar gutes Ende haben… wobei an einem Eck der Wiese ein Auschnitt der Fassade in Originalgröße aufgebaut nichts Gutes ahnen lässt…

Stadtschloßimitatteilansichtsimpression

Berlin ist groß! Da muß man erst mal von einem Ort zum nächsten kommen. Der Paranoiker vermißt ein Fahrrad, mit dem er sich einigermaßen vernünftig fortbewegen könnte, denn alles andere… Auto fällt flach, denn Berlin scheint nicht nur die ‚rote Welle‘ erfunden zu haben, auch gibt es mindestens zehn mal mehr Fahrzeuge als Parkraum, und Berlin ist (s.o.) eine Baustelle. Also lieber die Nuckelpinne in der glücklich eroberten Parkbucht stehen lassen. U-Bahn und S-Bahn sind schon schön, aber oft sind die Verbindungswege ganz schön lang. Also per pedes. Gleich nach der Ankunft macht sich der Paranoiker brav auf ans Brandenburger Tor, und blickt zur Siegessäule: komisch, da war er noch nie. Auf dem Weg dorthin wird ihm auch klar warum: der Weg zieht sich! Und dann wollen noch die 285 Stufen bezwungen sein, doch das lohnt sich (siehe Teil 1)! Aber irgendwie muß man ja auch wieder zurück, und Busse scheinen nicht zu fahren. Und so geht das weiter bis die Füße kochen. Nun, mit Sicherheit kann man mit etwas mehr Orientierungsbewußtsein und dem Willen und der Befähigung zum Studium des Planes des öffentlichen Nahverkehrs den ein oder anderen Weg einsparen, aber der Paranoiker latscht halt auf gut Glück los. Besonders wird ihm die Unsinnigkeit enes derartigen Verhaltens klar, als er endlich(!) bei brütender Hitze im Botanischen Garten ankommt; erst die falsche S-Bahn erwischt und sich nichts gedacht bei den fremd klingenden Stationsnamen, dann nur mit Mühe doch noch die richtige S-Bahn erwischt, um dann noch eine Viertelstunde Fußmarsch durch eine allerdings sehr beschauliche Wohngegend zu absolvieren… und dann meint die schon etwas ältere Dame, die schön im kühlen Schatten ihres Kassenhäuschens sitzt, auf den ‚na, zu euch isses ja ne halbe Weltreise’ Kommentar des Paranoikers nur lapidar: ‚ja, hammse sich denn nich vorher im Internet informiert??’. Tja… Das wär vielleicht eine Option für die Zukunft. Aber noch beschränkt sich der Paranoiker darauf, seinen Reiseführer zu Rate zu ziehen und im Papier zu googeln… und, siehe da: da steht sogar, welcher Bus ihm wenigstens auf der Rückfahrt ein paar Meter zu Fuß spart. Glück jehabt, wah!

Apropos Internet: Berlin ist modern! Zumindest manchmal… Das zeigt sich schon, wenn der Paranoiker zum Frühstück erscheint: Da sitzt dann ein gutes Dutzend Amis, und jeder von denen hat einen Laptop vor sich stehen und ein Smartphone neben sich liegen und ist am klicken, wischen und sonst was machen! Wow! Bei der koreanischen Familie hat nur der kleine Junge sein iPad in der Hand, doch die beiden Spanierinnen am Nebentisch wälzen wie der Paranoiker den analogen Stadtplan, während das ältere deutsche Ehepaar ganz abgeklärt mit der Berliner Zeitung Vorlieb nimmt. Da fragt man sich doch unwillkürlich, was die Amis da die ganze Zeit treiben! Wahrscheinlich chatten sie miteinander; obwohl, sie reden auch! Ah, da zeigt z.B. ein Ami einem anderen Ami Bilder einer Stadt in der Wüste, was diesen offensichtlich schweeeeer interessiert… Nee, dann doch lieber analog weiterwurschteln und sich auf das tolle Berlin konzentrieren… Dabei verpasst man allerdings leider doch auch wieder mabches, z.B. den schon lange ausstehenden Besuch des Reichstages… ‚Nee, hier komm’n’se nur noch mit Anmeldung rein!‚. Anmeldung? Wo denn? ‚Na, im Internet, drei Tage vorher! Is doch schon seit letztem Jahr so!!!‘ Na denn, vielen Dank! Ist der Reiseführer mit seinen zwei Jahren wohl schon in die sellbigen gekommen. Aber zurück zu modern: Schwer beeindruckt ist der Paranoiker im Pergamonmuseum – von dem Museum an sich sowieso (dicke Besuchsempfehlung!), aber besonders angetan haben es ihm die Bildschirme, die am Ende der Sonderausstellung aufgebaut sind und interaktiv ermöglichen, eine Panoramaaufnahme der Ruinen des ehemaligen Pergamons mit einer Rekonstruktion der antiken Stadt zu überlagern. So macht Museum richtig Spaß!

Pergamonaltarimpression

 

 

 

 

 

Und als er, kurz vor Toreschluß, in die Dauerausstellung im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt stolpert, drückt ihm ein netter Angestellter eine CD in die Hand: ‚da könnse sich schon ma‘ ’n Überblick verschaffen, wenn se ‚t nächste Mal kommen‚. Super! Und doch: Auch analog kann Spaß machen und zum Nachforschen anregen! Kaum daheim, liest der Paranoiker (durch puren Zufall!) ein Buch, in dem Echnaton, Nofretete und der Aton-Kult im Mittelpunkt stehen, und das ein paar Tage nach des Paranoikers Besuch der ägyptischen Sammlung! Spannend! Und auch hier gilt: unbedingte Besuchsempfehlung, alleine schon der Nofretete wegen!

Echnaton

Hand-in-Hand

Berlin ist grün! Das merkt man spätestens dann, wenn man eine der zahlreichen Möglichkeiten ergreift, die Stadt von oben zu betrachten, z.B. von der Siegessäule aus oder von der Kuppel des Doms. Anders, als es die Häuserschlucht um die Friedrichstraße oder die Betonwüste um den Alexanderplatz vermuten lassen, erstrecken sich allerorts Parks und Bäume (im Tiergarten gibt es Alleen, die nach den Bäumen benannt sind, die dort ihr Blätterdach über dem Paranoiker ausbreiten – praktisch, da muß sich der Paranoiker nicht beim Bestimmen blamieren, sondern kann selbstbewußt nicken angesichts der Namen und des dazugehörigen Grüns…), und selbst dort, wo die Bebauung dicht ist, steht spätestens im dritten Hinterhof eine alte Linde, so auch bei des Paranoikers Hotel. Und sitzt man abends gemütlich auf sein Abendessen wartend auf dem Trottoir, so fällt, zumindest in Kreuzberg, der Blick auf die zur viel befahrenen Straße hin gelegenen Rabatte, die, teilweise ummauert, teilweise von Miniaturjägerzäunen umkränzt, schier überquellen vor Stauden und Sonnenblumen. Gut, nicht überall ist dies der Fall, aber es ist doch mehr die Regel als die Ausnahme. Und dann sind da noch die Zufallsentdeckungen, die man so beim Schlendern (Euphemismus für ‚sich-gründlich-verfranzen-und-irgendwann-kaum-noch-wissen-wo-man-eigentlich-ist’!) machen kann; so geschah es dem Paranoiker, daß er unvermittelt vor einem ehemaligen Stück Brachland stand und auf einem Schild, das an einem windschiefen Tor hing, ‚Prinzessinnengarten’ las – ein schönes Beispiel ‚urban gardenings’ mitten in Kreuzberg. Da stapeln sich Holz- und Plastikkisten zu Hochbetten auf, Tomaten wuchern in Plastikeimern und –tüten, überall wird fleißig gepflanzt und eingetopft, während unter einem Sonnensegel vor einem kleinen Café Kinder toben. Ein Landbewohner muß natürlich leicht grinsen ob der gärtnerischen Bemühungen, aber so mitten in Berlin wirkt das Ganze wie eine kleine Oase der Gemütlichkeit und Unangepaßtheit – ein Antikrisenort!

Stadtgartenimpressionen 1

Und dann die vielen Brachflächen, mitten in der Stadt, z.B. entlang der S-Bahn, …

Das professionellste Grün ist dann in Dahlem: der botanische Garten! Tolle Gewächshäuser, phantastische Außenanlage – wer behält da den Überblick, wer pflegt und hegt das alles? Den Paranoiker, dem der grüne Daumen selten hold ist, beschleicht Ehrfurcht.

Gewächshaus

Gewächshaus 2

Gewächshaus 3

 

Teil 3

2 Gedanken zu „Antikrisenimpressionen, oder: Berlin, die zwohte…“

  1. Der Paranoiker muß noch einen Nachtrag zu dem Thema Museum loswerden – im wunderbaren Neuen Museum gibt es einen Raum, der sich unter anderem auch der Geschichte des Museums und der Sammlung widmet, die, da in der ehemals offiziellen Hauptstadt jenes Reiches, welches die Zeitrechnung dadurch revolutionierte, daß 1000 Jahre lediglich zwölf dauerten, beheimatet, naturgemäß sehr bewegt war – unmittelbar nach Kriegsende wurden da die Schätze unter den Alliierten aufgeteilt und großteils auch in die Ländereien der Siegermächte verfrachtet, so auch drei Kisten mit Gold, die nach Russland transportiert wurden und dort bis heute (Zitat!) völkerechtswidrig (Zitat Ende) zurückgehalten werden… angesichts all der atemberaubenden Ausstellungstücke, die der Paranoiker in den Stunden zuvor bewundern durfte, muß er sich zusammenreißen, um nicht laut herauszuplatzen, denn viele, wenn nicht sogar die Mehrzahl jener Relikte ist ja wohl unter, sagen wir mal, häufig nicht ganz sauberen Umständen ins Kaiserreich gelangt – da den moralischen Zeigefinger zu erheben erscheint dem Paranoiker dann doch reichlich unpassend… Aber anschauen tut er sie natürlich gerne!… hüstel…

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