Die erste Antikrise, oder: Tango und Kompliment

Der Paranoiker begann schon, sich in einer Tangokrise zu wähnen – seit Wochen aus unterschiedlisten Gründen auf keiner Milonga (für alle Tango-Uneingeweihten: das ist nicht nur eine Spielart des Tango Argentino, sondern in erster Linie auch eine Veranstaltung, auf der Tango gespielt und dann natürlich auch getanzt wird) mehr gewesen, sondern zudem auch allen Kursen abhold, drängte sich schon die Frage auf, ob der Rückschritt (für alle Insider: ein altes ‚Tangowerkstatt-Problem’… (-; …) nicht Programm würde. Aber nein: Krisenvermeidung nahte in Form neuer Workshops, angeboten von einem holländischen Tango-Urgestein. Tango-Urgestein und Holland?? Tscha, das gibt es, und zwar eines, das es geschafft hat, im letzten Vierteljahrhundert zu einer festen Größe in ganz Europa zu werden… zu recht, wie der Paranoiker gestehen muß (oder darf)!

Des Paranoikers liebste holländische (und auch sonst) Tanguera, (ha, apropos ‚Tanguera‘, das ist fast schon wieder eine Geschichte für sich, macht doch der Paranoiker, weil er unbedingt einmal nach Buenos Aires reisen möchte und es sich dafür durchaus anböte, der Landessprache zumindestens annähernd kundig zu sein, einen Spanisch-Kurs an der hiesigen Folks-High-School (wo kommt eigentlich das ‚V‘ in der Abkürzung her??)… und exponierte sich gleich mal wieder in einer der ersten Stunden, indem er, als es um die Pluralisierung singulärer Begriffe ging (oh, immer diese geschwollenen Umschreibungen… he, alter Ego, iss gu-ud), ein Wort verwendete, das im bisherigen Kursverlauf noch nicht aufgetaucht war: la tanguera, also die Tangotänzerin – womöglich lag es ja an seiner allzu teutonischen Aussprache, daß selbst dieDozentin nichts mit dem Begriff anfangen konnte, aber die Reaktion des Sitznachbarn, der daraus den Plural bilden sollte, zeugte schon von bemerkenswerter Coolness, kam es doch wie aus der Pistole geschossen: Las tangueras – obwohl auch er gestand, nichts mit dem Wort anfangen zu können… peinlich… aber mal wieder typisch! (grinsen musste der Paranoiker dann aber doch, als ein Kursteilnehmer, gleich im Kursbuch blätternd, schelmisch ausrief: Und das steht noch nicht mal im Wörterverzeichnis! – also: liebe zahlreichen Leser dieses Blogs, ihr habt schon wieder mal einen unschätzbaren (!/?) Wissensvorsprung!), also jene Tanguera legte dem notorischen Zweifler den Unterricht bei besagtem Tanguero sehr ans Herz und schwelgte in gewesenen Kursen. In einem ungewöhnlichen Anfall von Entschlußfreudigkeit ergatterte der Paranoiker dann auch Plätze in den ansonsten notorisch ausgebuchten Kursen (ein Jahr im Voraus scheint da nix zu sein…) und tuckerte denn letztes Wochenende mit besagter Tanguera gen bayerische Metropole – und war hin und weg… bzw. erst mal dort und da. Es gibt eine Art von Unterricht, da exerziert man tausende von Schritten und kann hinterher: gar nichts – und dann gibt es einen Unterricht, aus dem man wahnsinnig viel mitnimmt; fragt einen aber jemand: ‚Was habt ihr denn da gemacht?‘, dann kann man dazu wenig Konkretes sagen… wunderbare Feinarbeit eben… In der Pause zwischen den zwei Work-shops (Arbeits-Läden, was für ein besch…eidener Ausdruck… manchmal ist Sprache wirklich oberseltsam,… äh,…) beneidete der Paranoiker, der unter fortlaufendem und permanentem Mangel an Streicheleinheiten leidet, den Tangolehrer, der sich kaum des Lobes erwehren konnte… irgendwie scheint ersterer den Job verfehlt zu haben…

Nach zwei wundervollen Kursen will sich der Paranoiker (der zwischendurch auch einmal ‚Vortanzen‘ mußte… äh durfte, äh…) noch verabschieden und auch ein wenig des Lobes auf den Lehrmeister abfärben lassen, und reiht sich von daher in die Schlange ein, um dann von selbigem geherzt und geknuddelt zu werden, sogar durchs lichter werdende Haupthaar wuschelt der Tangomeister und verleiht der Freude des gegenseitigen Kennengelernthabens Ausdruck, was die Tanguera des Vertrauens im Gehen zu der Bemerkung verleitet: ‚Ich glaub, der steht auf dich‘ (man versuche, sich diese und folgende Worte mit dem charmanten holländischen Akzent vorzustellen, dessen Wiedergabe in Schriftform hier leider scheitert), woraufhin der Paranoiker in grenzenloser Unbedarftheit antwortet: ‚Na, ist doch ok, er ist doch verheiratet – schließlich trägt er einen Ehering‘, was die Tanguera mit ‚ Tscha, aber mit eine Mann!‘ kontert… Uups… Doch nach kurzem Nachdenken war der Paranoiker in einem gänzlich untypischen Anflug von Nicht-Parnoia sogar stolz: Wenn einen jemand sympathisch findet und in irgendeiner Art ansprechend, dann ist doch eigentlich egal, ob es sich dabei nun um Männlein oder Weiblein handelt, oder? Der Paranoiker jedenfalls faßte es, trotz Heterophilie (was ist das denn schon wieder für ein Wort?? Gibt es das überhaupt??), als Kompliment auf!

Insgesamt: ein wunderbarer Antikrise-Tag!