Krisenfragmente, die siebte, oder: Che und Cigaretten

Vor ein paar Wochen freute sich der Paranoiker über eine anrufbeantworteraufgezeichnete Nachricht, ein Päckchen aus Frankreich sei per Eilboten im wohl besten Lokal der Stadt für ihn abgegeben worden. Es entpuppte sich als Urlaubsgruß der Lieblingsfränkin des Autors, die nun schon seit mehreren Jahren im ‚Frankenland‘ im fernen Süd-Westen exilarisch ‚Missionsarbeit‘ leistet, und bestand aus mehreren ‚Versuchungen‘, denen der Paranoiker des Öfteren zum Opfer zu fallen verdächtigt wird, nämlich Kaffee, einem kleinen Schnaps und: einem Päckchen Cigaretten. Nicht irgendwelchen Cigaretten, nein – solchen mit Kultfaktor.

Rot die Packung – Blut-rot, Revolutions-Rot, ein Rot, das wir Kinder des kalten Krieges auch noch zu gut als jenseits des Eisernen Vorhangs im real existierenden Sozialismus beheimatet kennen. Auf der Farbe prangt ein Bild, das wohl ohne Übertreibung als eines der berühmtesten des letzten Jahrhunderts gelten darf: Che Guevara mit Baskenmütze und rotem Stern an selbiger, entschlossenen Blickes das Ziel vor Augen. Darunter ein schlichter Schriftzug in weiß: Che, zusätzlich unterstrichen.

Äh, Moment mal – also, daß Che auf T-Shirts prangt und auf Postern, kein Thema – aber auf einer Cigarettenpackung – und auch auf dem dazu passenden Feuerzeug? Mal wieder eingeholt von ‚el capitalismo‘, die Ikone zum x-ten Mal dem schnöden Mammon geopfert?!

Krise!!!

Zumal auf dem Schachtelexemplar französischer Provenienz dann auch noch in groß ‚Fumer tue‚ prangt – hah, der Ratschlag an alle Revoluzzer: Raucht nicht, das könnte tödlich enden. Die Revolution frisst ihre Kinder – bzw. wird ihrer beraubt, da diese dem Tabakkonsum frönen. Dem Paranoiker bricht der Schweiß aus: Ist das ein kapitalistisch-imperialistischer Angriff auf die verbliebenen Revoluzzer und Kuba-Sympathisanten, auf all jene, die sich gerne mit dem Konterfei der Lichtgestalt auf einem T-Shirt schmückten, auf daß ein wenig Flair auf sie abfärbte? Sollen diese Überbleibsel einer längst vergangenen Epoche nun brachial zum Rauchen verführt werden und damit dem möglichst baldigen Vergessen anheimfallen? Und all jene, die der Verführung des Photos widerstehen können, werden durch den Aufdruck abgehalten sich zu suizidieren? Als wäre es nicht schon schlimm genug, daß Fidel Castro Interviews in Trainingsklamotten oder, noch schlimmer, im Schlafanzug gibt.

Immerhin: dem allwissenden Internet lässt sich die Erkenntnis abgoogeln, daß diese Cigaretten ‚sans additif‚ seien, also ohne allerlei Zusätze, die sonst den Suchtfaktor noch zusätzlich verstärken helfen, quasi ‚gesunde‘ Cigaretten, eine Art ‚Revolution light’…

Es sei gestanden: Der Paranoiker wurde kurzzeitlich schwach (immerhin ist er gerade nicht rauchender Raucher! (wer angesichts einer solchen Formulierung stutzt, der sei der besseren Verständlichkeit halber an Holger Paetz verwiesen, der einst trefflich, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, anmerkte: ‚Wer einmal verheiratet war, der ist entweder geschieden oder verwitwet, aber doch nie wieder ledig!‘ – das lässt sich wunderbar auf das Rauchen übertragen…)  und machte sich natürlich gleich schlau, ob es diese Cigaretten denn auch in seinem tabaklädlichen Umfeld gäbe, wurde allerdings – zu seinem ‚Versuchungsglück‘ – nicht fündig und widerstand denn auch tapfer den beiden in der Packung befindlichen Filterexemplaren. Kurzzeitig malte er sich aus, wie denn so mancher Alt-68er darauf reagieren würde, wenn er lässig die Packung aus der Hemdtasche zöge, um anschließend nostalgisch der bewegten Zeiten zu gedenken (auch wenn der Paranoiker noch nicht mal geboren war, als Che mit CIA Unterstützung dahingemeuchelt wurde – allerdings erinnert er sich gerne an die einstige Adelung in einem Kreis an Zeitzeugen, wo er erst erstaunte Blicke und dann wohlmeinendes und anerkennendes Nicken erntete, weil er den Vornamen von Che wusste, was heute nicht mehr allzu häufig vorzukommen scheint (na, Hand auf’s Herz: gewußt??)), oder würde er nur mitleidige oder gar geringschätzige Blicke ernten ob der Kommerzialisierung (ja, ja, auch begrifflich liegen Kommerz und Kommunismus ja nicht so weit auseinander, immerhin teilen sie die ersten vier Buchstaben…)?

Aber sowohl die Krise der Versuchung ging vorüber als auch der Zweifel – wenn der Paranoiker schon nie ein Poster mit dem berühmten Photo im Zimmer hängen hatte (warum eigentlich nicht?), so hängt heute eben eine Cigarettenpackung mit selbigem am Kühlschrank und gemahnt der Vergänglichkeit – und ab und an schallt Wolfgang Biermanns ‚El commandante Che Guevara‘ durch die Wohnung, und ein Hauch verklärender Nostalgie macht sich breit in diesem CSU regierten Landstrich…