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Eine einundzwanzigste Antikrise, oder: Rauchzeichen

Der Paranoiker weilte an Weihnachten, der Tradition sei Dank, in seiner Heimatstadt und fröhnte dort einer weiteren Tradition, nämlich der, den ersten Weihnachtsfeiertagsabend mit seinem ältesten und besten Freund über einem Pils (oder zwei oder drei…) (man darf es ja in Bayern nicht laut sagen, aber: endlich wieder saarländisches Pils! Hier versteht man es nämlich, so etwas zu brauen!!) in der Kneipe zu verbringen. Nachdem die alte Stammkneipe im letzten Jahr bereits um halb zehn schloß (oh Schande!), war sie dieses Jahr erst gar nicht geöffnet, aber eine kleine Mittelstadt hält glücklicherweise noch mehr Lokalitäten vor, wobei die erwählte dann auch recht dünn besucht war, was zu der Sorge Anlaß gab, ein paar Bier auf Vorrat bestellen zu müssen – eine Angst, die sich aber schnell verflüchtigte, als just um halb zehn ein Schwung Leute hereinkam, die offensichtlich gut mit dem Wirt bekannt waren. Dieser kam dann auch gleich an des Paranoikers Tisch und fragte: ‚ Däät sie’s steere, wenn mir raache?‚ Bitte was, war da nicht was mit Rauchverbot und so? ‚Ei, wenn sie Zigaredde unn e Aschebecher hann, näh!‚ drang in die Gedanken des Paranoikers des Freundes Antwort. Ja ja, das Saarland, der kleine, unbeugsame Fleck im Südwesten der Republik…!

Der Paranoiker genoß den Tabak dann sehr; man schwelgte in alten Zeiten, freute sich der Traditionen und wankte gemütlich heim – und am nächsten Morgen ‚freute‘ sich der Paranoiker dann über etwas, das er nach gefühlten hundert Jahren des absoluten Rauchverbotes in seiner Wahlheimat gar nicht mehr erinnerte: den Gestank nämlich, den Haare und Klamotten verbreiten, wenn sie am Vorabend vollgequalmt worden waren.

Also: Antikrise oder Krise? Eindeutig Antikrise!

So, und jetzt ist 2012 so gut wie rum, daher: Blick nach vorn auf 2013, und immer nach den Rauchzeichen Ausschau halten! 😉

Earth 3.1 “Die andere Seite” – Teil 7 – Finale

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"Renaldos Welt"  aufgereiht wie am Schnürchen!


Teil 7: Finale



AL00 sah, wie JW00 in dem geheimen Durchgang verschwand. Er würde nun in weniger als 2 Minuten den kleinen Konzertsaal finden, in dem sich heute fast alle Mitglieder des TTB-Movements versammelt hatten um die Musik, gespielt im Geiste Thomas Berrys, zu hören und um das Wissen in eine höhere spirituelle Ebene zu transformieren. Ein Aspekt, den leider jede Regierung der Ökodekaden bisher entweder vernachlässigt oder sogar abgelehnt hatte.


AL00 atmete tief durch – sie spürte die Gewissheit, dass sich JW00, wenn die Wogen der Musik ihn erfassten, ihm die Essenz der Erfahrung offenbaren würde. Er würde innehalten und sein Bewusstsein würde die Erhabenheit aufnehmen, die von der puren und ursprünglichen Energie der Musik ausging. Seine spontane Ergriffenheit würde ihn zweifellos zu einem Gesinnungsgenossen und Verbündeten machen. Das war der Plan!
Doch jenseits dieser Vorstellung, deren Naivität sich AL00 sehr wohl bewusst war, schließlich war sie auch eine kühl kalkulierende Energie-Inspektorin, die einige entsprechende Trainings absolviert hatte, gab es noch ein kleines Pfand in ihrer Faust – eine Karte, die sie ohne zu zögern ausspielen würde. Wenn sich JW00 also wirklich der Magie der Rockmusik entziehen sollte, dann würde sie ihm mit der Enttarnung seines Universal-Dekoders drohen. Das würde seiner Karriere als Energie-Inspektor ein jähes Ende bereiten oder es gäbe eben einen Deal…



All diese Gedanken schossen in Sekundenbruchteilen durch die Windungen ihres Gehirns. Sie war drauf und dran hinter JW00 durch die Wand zu gehen, als sie hinter sich schnelle Stiefelschritte und Stimmen hörte. Ihr Schrecken war so groß, dass Sie aufhörte zu denken. Doch Sie war bereit, bereit Alles und Jeden auf zu halten, wer auch immer versuchen sollte das Konzert zu stören. Sie würde ihr Leben geben um die Gruppe zu schützen.


Doch zunächst war das gar nicht nötig. An der nächsten Kreuzung sah sie den Gleiter des VB stehen und nur wenige Meter davon entfernt, nahm sie aus dem Augenwinkel war, wie ein paar Männer in Uniform den Schalt-und Kontrollraum der Anlage 3212 betraten.


Nun explodierten die Gedanken in AL00s Kopf. Egal was der Vorbeugende Brandschutz hier tat, es konnte nichts Gutes bedeuten und sie musste es verhindern. Zumindest ihr persönliches Schicksal, das der Gruppe und auch das JW00s standen hier auf dem Spiel, wenn es nicht sogar um sehr viel mehr ging.


Zu allem entschlossen hastete sie hinter den Männern her und war im Kontrollraum, bevor die Tür hinter den VB-lern zufallen konnte.



IK01 öffnete langsam die Tür des Gleiters. Was sie soeben gesehen hatte, war mitnichten Teil ihres Planes. Doch egal was der Hohlkörper von Energie-Inspektorin jetzt tun würde, sie selbst würde persönlich dafür sorgen, dass es unerheblich sein würde für das weitere Geschehen.


Die Sprengung des kompletten Sektors 2312 würde auf jeden Fall stattfinden. Variabel war für sie nur die Anzahl der Energie-Inspektoren unter den Opfern und diese Zahl war gerade um einen Zähler gestiegen.


Sie stellte ihren Elektro-Schocker auf maximale Leistung und entsicherte ihn. Dann ging sie in Richtung Schaltzentrale.


Aus der offenen Tür hörte sie ein krachendes Geräusch, als würde etwas großes und schweres zu Bruch gehen. Als sie die Türe fast erreicht hatte segelte einer ihrer Männer mit dem Kopf voran aus dem Raum, klatschte mit dem Gesicht auf den Boden und blieb regungslos liegen.


Sie hob den Elektro-Schocker, den Finger am Abzug und als ein Schatten aus dem Kontrollraum huschte drückte sie ab. Der Schocker versendete seine tödliche Spannung, Funken sprühten und ein Spannungsblitz blendete sie für den Bruchteil einer Sekunde. Dann sackte der schwere Körper von MB01, einem ihrer besten Männer, leblos zu Boden.


IK00 drehte sich zur Seite und drückte auf die Ladetaste des Schockers. Das war genug Zeit für AL00, die dem Mann gefolgt war, einen kurzen harten Kick mit dem Fuß auf die Kehle von IK01 auszuführen, gefolgt von einem Ellbogencheck aufs Herz und einem zusätzlichen Fausthieb auf das Jochbein. Teil eins und zwei der Schlagfolge waren direkt im Lehrbuch nach zu lesen und hart genug um einen großen und schweren Mann zu töten. Der Fausthieb dagegen war ein Ausdruck unfassbarer Wut und Erregung.



Dann lief sie in Richtung Konzertsaal. Vielleicht gab es ja noch ein Chance, wenn sie nur schnell genug war! Sie hatte nach wie vor keine Ahnung, was der VB hier für ein Spiel spielte. Die Männer hatten im Kontrollraum einen Apparat an eine Leitung angeschlossen und eine Zeitschaltuhr aktiviert. Demnach blieben ihr weniger als 5 Minuten – egal für was!



IK01 hustete, ihr linkes Auge war fast zugeschwollen und sie rang nach Atem. Röchelnd stützte sie sich auf die Ellenbogen und stemmte sich hoch. AL00 war schon so gut wie tot, das war beschlossene Sache. Jetzt musste aber als erstes ihr Plan gestartet werden. Sie schleppte sich in den Schaltraum, wo zwei weitere ihrer Männer am Boden lagen. Die Schaltung lief – in wenig mehr als vier Minuten würde der Sektor 2312 vernichtet werden. Sie musste schnell zurück und sich mit dem Gleiter aus der Gefahrenzone begeben.



Im Konzertraum endete gerade die zweite Nummer der Band mit dem Refrain der Sängerin: „Rock`n Roll Will Never Die“, und alle sangen mit.


JW00 stand neben der Bühne und war im Begriff den Stecker zu ziehen, der dem hier stattfindenden Gesetzesbruch die nötige Energie verschaffte und den er, Energie-Inspektor der Ökodekade II, hiermit für immer beenden würde.


Doch soweit kam es nicht. Seine Kollegin Energie-Inspektorin AL00 stand auf einmal, in ziemlich mitgenommenem äußeren Zustand, auf der Bühne, hielt das Mikrophon in der Hand und schrie: „Liebe Freunde, der VB ist hier, irgendwas stimmt nicht und wir müssen alle…“


In diesem Moment war der Strom weg und es wurde finster. Doch irgendjemand hatte verstanden um was es hier ging und geistesgegenwärtig den alten Durchgang zur Abfallsammelstelle geöffnet. Nun rannten alle, von Panik ergriffen in Richtung dieses schwachen Lichtschimmers, während das Gebäude von mehreren kurz aufeinander folgenden entfernten Explosionen erschüttert wurde. Als nächstes explodierte, ganz nah, die selbst gebaute Brennstoffzelle mit lauten Zischen, eine Kaskade von Stichflammen von sich gebend. Trümmer waren überall in der Luft und begruben einige Gruppenmitglieder unter sich. Dann stürzte die Decke ein und verschlang den Rest in Staub, Flammen und Rauch.



JW00 stolperte hinter AL00 einen Gang entlang, umringt von wenigen Gruppenmitgliedern, die es noch zum Durchgang zur Abfallsammelstelle geschafft hatten. Hinter ihnen brachen die Wände weg, als wären sie aus Pappe. Alle rannten verzweifelt um ihr Leben. Dann wurde alles um ihn herum schwarz.



Endlos lange Zeit später spürte er Schläge auf seinem Gesicht. Immer wieder wurde er geschlagen aber es war so weit weg, dass er es lediglich zur Kenntnis nahm, dann spürte er den Schmerz und später, viel später hörte er die Stimme.


Doch sie war weit weg, so weit weg, dass sie nicht ihn meinen konnte, mit ihm hatte das alles hier nichts zu tun. Doch die Stimme wurde lauter, deutlicher. Er kannte diese Stimme. Er erkannte sie – es war die Stimme von AL00. Was wollte die denn schon wieder von ihm?
Er dachte: „Lass mich in Ruhe, ich will schlafen.“ Doch die Stimme wurde immer lauter und schließlich verstand er auch, was die Stimme sagte. Er wollte antworten, doch es kam nur ein Röcheln aus seiner Kehle.


AL00 drehte ihr rußverschmiertes Gesicht hinüber zu RW00 und seufzte erschöpft: „Na, Thomas Berry sei Dank, der Scheißkerl lebt!“


 


Aber auch wenn wir nun unseren Übergang in das neue Zeitalter vollziehen, müssen wir doch bedenken, dass diese Momente der Gnade vergängliche Augenblicke sind. Die Transformation muss sich in einer kurzen Zeitspanne vollziehen. Ansonsten schwindet die Möglichkeit für immer. In der unermesslichen Geschichte des Universums, das so viele gefahrvolle Übergangsmomente erfolgreich überwunden hat, lassen sich Anzeichen erkennen, dass das Universum eher für als gegen uns arbeitet. Wir müssen diese Kräfte lediglich bündeln, um schließlich erfolgreich zu sein. Obwohl der menschliche Drang, diese Bahn zu durchkreuzen, niemals unterschätzt werden darf, ist es doch schwer anzunehmen, dass die weiter reichenden Ziele des Universums oder des Planeten Erde letztlich vereitelt werden können.“


(Thomas Berry, „Das Wilde und das Heilige“ 1998 „Kapitel 16 „Die vierfache Weisheit“)

 



The End

Earth 3.1 “Die andere Seite” – Teil 6

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"Renaldos Welt"  aufgereiht wie am Schnürchen!

Die Weisheit der indigenen Völker ist gekennzeichnet durch ihre intime Vertrautheit mit der Natur und durch die Partizipation an ihren Prozessen. Aufgang und Untergang der Sonne sind Momente, in denen die numinose Quelle mit besonderer Intensität erfahrbar ist. Im Frühjahr bringt die erblühende Welt ihre Blüten hervor. Die Vögel erscheinen in ihrer Farbenpracht und faszinieren durch die Leichtigkeit und Kunstfertigkeit ihres Fluges, durch die Schönheit ihres Gesangs. Dann gibt es die furchteinflößenden Zeiten, in denen der Donner über den Himmel grollt und Blitze über den Himmel zucken.“


(Thomas Berry, „Das Wilde und das Heilige“ 1998 „Kapitel 16 „Die vierfache Weisheit“)

 

AL00 lag ausgebreitet auf ihrem Bett und beobachtete die bewegungslose Stille in ihrer Wabe, während ihre Gedanken rastlos durch ihre Erinnerung streiften.
Sie spulte alles noch mal ab, was mit dieser vertrackten Geschichte zu tun hatte.

Begonnen hatte es mit dem Seminar „Thomas Berry richtig verstehen für Alle“. Dort hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl gehabt unter Gleichgesinnten zu sein. Ökobürger, die das Wesen der Welt ernst nahmen und etwas tun wollten, für die große Gemeinschaft aller Lebewesen und der Elemente. Unter den Seminarteilnehmern war RW00 wohl der auffälligste und auch der kritischste gewesen. Es hatte einige harte Diskussionen gebraucht, in denen sie RW00 anfangs für einen vollen Ökopsycho gehalten hatte, bis sie irgendwann verstand, dass RW00 nicht gegen Thomas Berrys Lehren war, sondern nur gegen die Art und Weise, wie diese, an sich wunderbaren Ideen, all zu oft auf verdrehte, verbissene oder gar völlig falsche Art umgesetzt wurden.

 

Irgendwann hatte RW00 sie dann gefragt, ob sie bereit wäre, den wahren Geist Thomas Berrys auf völlig neue und wirklich ursprüngliche Weise zu erleben.

So war sie also zu der Gruppe gestoßen. Zuerst war sie auf ein paar der Akustik-Sessions gewesen, die sie damals für die Essenz und den wahren Spirit von Thomas Berry gehalten hatte. Die treibende Musik hatte sie damals so heftig emotional dahin gerafft, dass sie nächtelang nicht schlafen konnte. Es war die bis dahin stärkste Emotion ihres Lebens gewesen. Danach hatte sie dann die gesamte Entwicklung mit gemacht, von Übungsessions mit windigen Batterieverstärkern aus der Vorzeit und dem ersten Konzert direkt gepowered aus der Tretmühle. Die ärmsten dort hatten die doppelte Zeit strampeln müssen um ihr Pensum gerade mal so zu erfüllen.

Jetzt endlich hatten sie die perfekte Stromversorgung und nun verhinderte JW00 mit seiner sinnlosen Sturheit das größte Undergroundkonzert des True T(homas)B(erry) Movements!

 

AL00 war sich sicher, dass er nicht aufgeben würde. Der nicht! Er spürte offensichtlich, dass irgendetwas nicht stimmte, und, dass sein Bruder RW00 die Finger in irgendeinem schrägen Spiel hatte. Das schien ihn wirklich sehr neugierig zu machen und zum Ausharren zu motivieren. Es sah ganz danach aus, dass er vorhatte wie ein geduldiger Jäger so lange zu warten, bis das Opfer reif war und aus seinem Versteck gekrochen kam – und dann wollte er zu schlagen.

Nun, sie selbst hatte auch ihre Pläne. Warten stand jedenfalls nicht mehr auf ihrer To Do Liste!

Was sie vorhatte war zwar gewagt, aber es lag eine reelle Chance darin.

 

Am nächsten Tag traf sie sich mit RW00, allerdings nicht in dessen Wabe, wohl wissend dass JW00 im Kontrollraum alles aufmerksam beobachtete, denn ihr unfreiwilliger Helfer, der Energiewächter, hatte bereitwillig Auskunft darüber gegeben, welche Überwachungsfunktionen im Kontrollraum nutzbar waren.

 

RW00 war zunächst nicht begeistert von der Idee das große Konzert schon am nächsten Tag stattfinden zu lassen. Allerdings war genügend Energie vorhanden, er hätte nur gerne nochmal vorher geprobt. Was ihm auch nicht gefiel, war die Rolle seines Bruders. Er traute ihm tatsächlich zu, das komplette TTB Movement auffliegen zu lassen ohne Rücksicht darauf, dass sein eigener Bruder möglicherweise für immer in den Straflagern an der Oberfläche verschwinden würde. So war das, wenn man blind den Gesetzen vertraute!

AL00 konnte die Befürchtungen RW00s nicht ganz ausräumen, doch sie versprach, sich persönlich um JW00 zu kümmern, wenn sich RW00 nur um das Konzert kümmern würde.

 

Am nächsten Abend, sie arbeitete nun schon fünf Wochen an ihrem Auftrag, dessen Sinn sie weniger denn je erkennen konnte, verließen alle anwesenden Mitglieder des TTB-Movements fast zeitgleich ihre Waben. Sie gingen schweigend, genau wie verabredet, hinunter in die Katakomben, vorbei am Schaltraum, hinter dessen Tür sich JW00 verbarg. Sie wusste, dass der Jäger jetzt gleich herauskommen würde um sich an die Verfolgung seiner Beute zu machen.


Sie ließ die Tür nicht aus dem Blick. Ein Muskel unter ihrem rechten Auge zuckte rythmisch und ihr war seit Stunden leicht übel. Die Anspannung, gepaart mit äußerster Konzentration war eben auch ein echtes körperliches Gefühl, das nicht einfach zu übergehen war. Doch fühlte sie sich stärker mit dem Geist Thomas Berrys verbunden als jemals zuvor. Die Gewissheit in seinem Geiste zu handeln, gab ihr Sicherheit und Kraft.

Was sie allerdings für einen kleinen Moment verunsichert hatte, war die Anwesenheit eines Elektrogleiters des VBs, der, als sie ihn entdeckt hatte, in einem der Nebenschächte verschwunden war. Nein, das musste Zufall sein, denn, das letzte was sie sich vorstellen konnte war, dass JW00 mit dem, bei allen Energie-Inspektoren verhassten, VB kooperierte.

 

Auf ihrem Beobachtungsposten neben dem Ausgang zum Fahrradparkplatz konzentrierte sie sich jetzt voll auf die Tür zum Kontrollraum, an der gerade die letzten der Gruppe vorbeizogen.

 

Währenddessen saß IK01 hinter der getönten Scheibe ihres Elektrogleiters. Sie grinste still vor sich hin, denn alle Beteiligten waren an der richtigen Stelle versammelt. Der Plan würde ablaufen wie geschmiert.  In weniger als einer Stunde würde er seine äußerst effektive Wirkung voll entfalten. Sie spürte innerlich die Erregung, die sich gewiss bald in Genugtuung wandeln würde. Sie freute sich schon auf Pressekonferenzen und Interviews, in denen sie die Ökobürgerinnen und Bürger zu noch mehr Sorgfalt auffordern würde im täglichen Umgang mit der Brandlast also all den Dingen, mit denen sich Menschen umgaben.

Jetzt gab es keine Möglichkeit mehr den Lauf der Dinge zu beeinflussen und bald, sehr bald schon, würde sie die finale Anweisung erteilen.


Wie AL00 es vorhergesagt hatte, öffnete sich die Tür zum Schaltraum, JW00 schlich vorsichtig heraus und folgte der Gruppe. Er hielt, ganz Profi, exakt den richtigen Abstand und auch sie hielt sich an die Regeln und rückte nicht zu nah auf.

Er folgte der Gruppe, hinein in den alten Gang zur Sammelstelle. Doch statt dass er seinen Universal-Dekoder einsetzte und einfach die geheime Drehtür öffnete, nahm er seine Nickelbrille ab, fing an zu putzen, tastete die Wände an der falschen Stelle sorgfältig ab, drehte sich dann weg und ging, wiederum nachdenklich seine Nickelbrille putzend den Gang zurück – und zwar, zum Energieverschwender nochmal, direkt auf sie zu.

Sie legte einen fantastischen Sprint hin zur nächsten Ecke. Die Chancen, dass JW00 sie nicht gesehen hatte, standen überhaupt nicht gut!  Sie konnte ja nicht wissen, dass JW00 ohne seine Brille so gut wie blind war. Sie konnte nicht sehen, wie er endlich die Brille wieder aufsetzte und in den stinkenden Gang, der zum Lüftungssystem führte, wechselte.

Sie atmete heftig, teils vor Anstrengung, teils vor Aufregung. Auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen. Erst als das Geräusch seiner Schritte leiser wurde, wagte sie es um die Ecke zu blicken.
Verdammt, was machte der blöde Energieverschwender im Lüftungsgang? Ihr war klar JW00 hatte den Durchgang nicht entdeckt.
Hatte er denn nicht gesehen, wie die gesamte Gruppe durch die Drehtür gegangen war? Der große Super-Ernegieinspektor JW00 war einfach zu dusslig – es war nicht zu fassen! Wenn er nicht bald zurück käme, würde sich ihr schöner Plan in Nichts auflösen.

Sie wartete, denn sie wagte es nicht, ihm in den Lüftungsgang zu folgen. Und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich wieder auftauchte. Er schlich fast auf Zehenspitzen und schien auf irgendetwas zu lauschen. Na klar, jetzt hörte sie es auch, die Band hatte angefangen zu spielen.

Als er wieder an der Wand zur alten Sammelstelle angekommen war, tastete er mit beiden Händen die glatte Fläche diesmal gründlich ab, nickte als er diee Drehtür entdeckte und zog seinen Zauber-Dekoder. Dann verschwand er in der Wand.

Na also, dachte sie, es geht doch!

 

To be continued…

Earth 3.1 “Die andere Seite” – Teil 5

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"Renaldos Welt"  aufgereiht wie am Schnürchen!

 

 

Teil 5

Ihre Arbeit war nervtötend langweilig. Die der ganzen Truppe war es ebenso. Das System an sich war langweilig, nichts geschah, wenn sie es nicht selber organisierten oder arrangierten. Gleichzeitig war das System wichtig, ihre Truppe war wichtig, sie selbst war wichtig. Das würde immer so sein und war schon immer so gewesen und sie war dafür verantwortlich! Sie sorgte für dieses System, mit all ihrer Macht! Schon die ganze Ökodekade I hindurch.

Ja, sie hatte kämpfen müssen, um das zu erreichen, was sie erreicht hatte. Dieses Kämpfen war gut gewesen, aber nun war alles langweilig. Fast alles! Meistens ging es nur noch darum, die Wichtigkeit und die Macht zu erhalten.

IK01 war bekannt dafür, überall mitzureden, mitzubestimmen, zu verhindern, was sie verhindern wollte und durchzusetzen, was sie durchsetzen wollte.

Doch nicht einfach so nebenbei oder willkürlich. Nein, durchdacht, mit Plan, denn es ging darum diese Wichtigkeit – ihre Wichtigkeit – zu erhalten, zu betonieren, in den Köpfen aller, der Wichtigen und der Unwichtigen für immer und ewig und alle Zeit danach.

 

Sie war Chefin des VB, mit Leib und Seele, vollzeit. Vollzeit hieß die g a n z e Zeit, denn es gab keine andere Zeit. Die Zentrale war ihre Wohnung, ihre Arbeit war ihr Leben und ihr Leben war VB.

Ab und zu tat die Truppe was, hier und da, kleinere Arrangements, das war in Ordnung so, da musste sie nicht immer selbst dabei sein oder eingreifen. Und ab und zu tat sie selbst etwas. Da musste die ganze Truppe dabei sein, da musste alles stimmen. Dann lief ein Plan ab, ein kunstvoll geschmiedeter Plan, der aus vielen Details bestand, ineinander greifend, parallel, sequentiell, kontrolliert, partiell zerstörerisch und immer genial.
Wenn die tumben Idioten der Energiebehörde den Fall dann hinterher untersuchten, wenn also diese sogenannten Inspektoren, diese erbsenzählenden Wichtigtuer, ihre gemanipulierten Schnüffelnasen auf volle Länge ausfuhren und mit ihren, ach so wichtigen, Nachforschungen begannen, dann würden sie niemals etwas Signifikantes herausfinden. Sie würden Dinge zu Tage befördern, die sie, IK01, selbst als Köder ausgelegt hatte und nur diese. Sie würden Ergebnisse liefern, wie die Chefin des VB sie haben wollte. Ausschließlich und endgültig.
Im schönsten Fall mussten die Marionetten der Ökoregierung hinterher ein neues Gesetz erfinden und sie würden sie, IK01, fragen müssen, was in diesem Gesetz drinstehen sollte, damit die Sicherheit in Zukunft gewährleistet sein würde.

Zufrieden blickte sie über die endlos lange Fläche der Kontrollschirme, die mit den Brand- und Rauchsensoren in der ganzen Stadt verbunden waren. Während ihre Truppe, ihre harten und fügsamen Männer und Frauen, diese Sensoren nur optisch wahrnehmen und kontrollieren konnten, war sie selbst in der Lage, diese Sensoren zu spüren. Sie waren zu Nervenzellen geworden, wie Nervenzellen auf der Haut, millionenfach mit ihrem Gehirn verbunden. Sie war die Zentrale des Ganzen!

 

Seit die Menschen unter die Wasseroberfläche geflüchtet waren oder tief unter die Erde, seit der großen Katastrophe also, die Thomas Berry voraus gesagt und beschrieben hatte, seit dem Fast-Biozid und dem unausweichlichen, leicht vorzeitigen, Ende des Ölzeitalters, seit dieser Zeit, die auf die finstere Vorzeit gefolgt war, war der Vorbeugende Brandschutz, kurz VB, die wichtigste Behörde geworden. Ohne den VB, der weltweit aktiv war, hätte sowieso kaum eine der Kreaturen überlebt, die sich jetzt stolz Ökobürger schimpften.

Kein Lebewesen konnte einer unterirdischen Feuersbrunst entkommen. Rauch und Flammen würden sich in den ausufernden Systemen von Gängen und Lüftungsschächten auf exorbitant rasante Weise verbreiten und Angst und Schrecken, Tod und Verderben in die unterirdischen Mega-Cities bringen. Zumindest war das ihre Botschaft. Es war die Botschaft, die ihre Macht begründete: Angst und Schrecken!

 

Und jetzt, nach vielen kleineren Arrangements, mit denen ihre Truppe, als Sandkasten- und Übungsspiele sich warm gehalten hatte, jetzt würde endlich mal wieder ein größeres Spiel gespielt werden. Ihr Spiel!
Seit Monaten befand sich das Projekt schon in der Planungsphase. Wie eine Spinne hatte sie ihr feines Netz gewoben. Lange hatten ihre Leute nach dem passenden Sektor gesucht und schließlich gefunden. Der geplante Schaden würde groß sein, ziemlich groß und spektakulär.

Ökobürgerinnen und Ökobürger würden sich die Rollen wieder teilen, die Einen, als die Überlebenden, würden den Rest ihres Lebens mit den Folgen der Angst verbringen und die Anderen, die, die es nicht überleben würden… an die dachte hinterher sowieso keiner mehr.

Aber die Sinne aller wären geschärft, für die Gefahren des Feuers und der Explosion. Und sie und ihre Truppe, wären die Sieger, die Schlimmeres verhindert haben mit heldenhaften Einsätzen und Perfektion in der Profession des Rettens. Technisch und menschlich – ein Segen für die ganze Ökodekade II und alle die da folgen würden!

 

Jetzt war es Zeit für dien Umsetzung des Planes. Das Feuer war gelegt, alles war vorbereitet und sie hätte schon längst die Früchte ihrer Arbeit genießen können, wenn da nicht dieser trottelige Energie-Inspektor mit seiner dämlichen altmodischen Nickelbrille aufgetaucht wäre, die er ständig putzte, obwohl kein Fleckchen Staub daran haftete.

Nun schien er sich im Kontrollraum der größten Wohnwabe des Sektors 3212 auch noch wohnlich einzurichten. Er verbrachte dort ganze Tage und halbe Nächte. Niemals hätte sie es damals zulassen dürfen, dass JW00 diesen Universal-Dekoder in seine feuchten Hände bekommen hatte. Doch damals war sie noch nicht so mächtig gewesen und hatte seine Unterstützung gebraucht – dringend gebraucht. Nun, jetzt sah sie es wohl ein, dass das ein Fehler gewesen war. Ihr letzter Fehler und der reichte zurück bis in die Ökodekade I. Seither allerdings, agierte sie perfekt.

 

Sie hatte fest damit gerechnet, dass JW00 seinen Fall in zwei drei Tagen erledigt haben würde, doch nun war ein weiterer Störfaktor aufgetaucht: Dieser wuschelköpfige, auf maximale Wirksamkeit getrimmte Hohlkörper einer Energie-Inspektorin namens AL00. Keineswegs arbeiteten die beiden zusammen. Nein, vielmehr sah es so aus als schnüffelte sie hinter ihm her. Verkehrte Welt!

 

Ihre Truppe wurde langsam nervös. Die Leute vertrugen das Warten überhaupt nicht. Sie hatte schon ein paar Mal intervenieren müssen, sie hatte MB01, einen ihrer besten Männer sogar wegsperren müssen, weil er sonst vielleicht einfach losgelegt hätte.

 

Ihre stahlblauen Augen blickten göttinnengleich auf den Schirm, der den Plan des Sektors 3212 zeigte. Wenn das morgen, spätestens übermorgen, nicht vorbei war, dann würde sie die beiden Schnüffler verschwinden lassen. Hinterher stünden sie dann irgendwo auf der Liste der Opfer!

 

Earth 3.1 “Die andere Seite” – Teil 4

„Ja, mir ist bewusst, dass ich wohl ein bisschen geschludert habe. Aber haben nicht auch erfolglose und mindertalentierte Autoren das Recht auf ein bisschen Privatleben.“
Das sagte mir Renaldo, als ich ihn fragte, warum er am vorletzteten Wochenende die angekündigte Fortsetzung der Earth 3 – Saga nicht veröffentlicht hatte. Er gelobte Besserung und so kann die MieseKrise auch mal mitten unter der Woche einen neuen Teil präsentieren! (02.12.12)

Viel Spaß wünscht Euer Krisenmanager

und vergesst nicht zum besseren Verständnis, die vorangegangenen Teile zu lesen!

Teil 4

 

Auf Grund des Internet wird das Ausmaß menschlicher Handelsaktivitäten ohne Reise und physikalische Präsenz an einem bestimmten Ort immer weiter zunehmen – trotzdem wird dies die Müllberge, verschmutzten Gewässer, unfruchtbaren und erodierten Böden, zerstörten Wälder, die durch Abholzung, giftige Chemikalien, radioaktive Abfälle ruiniert sind, und die dünn gewordene Ozonschicht nicht beseitigen bzw. wiederherstellen. Wir bemerken dies alles und stellen diese Chemikalien doch weiterhin her, holzen die Wälder bis zum Kahlschlag ab, verschmutzen das Wasser, häufen enorme Abfallberge auf und trocknen fruchtbare Feuchtgebiete aus. Wir tun das sogar noch, obwohl die industrielle Blase längst geplatzt ist. Das Ende der auf dem Ölverbrauch basierenden Ökonomie steht uns vor Augen. Trotzdem beharrt die Welt der Industrie und Finanzen darauf, dass dies der einzige Weg sei, um zu überleben.“

(Thomas Berry, „Das Wilde und das Heilige“ 1998 „Kapitel 15 „Die Wege der Zukunft“)

 

AL00 war nicht ganz bei der Sache. Thomas Berry mochte ja recht haben und es verwunderte sie immer wieder aufs Neue, dass ein derartig hellsichtiger Geist erst lange Jahre nach seinem Tod ernst genommen wurde, doch ihr gingen gerade andere Dinge durch den Kopf.

Ihre Beobachtung der Aktivitäten des Energie-Inspektors JW00 dauerte nun schon mehrere Wochen an, doch sie konnte sich noch immer keinen Reim darauf machen, was dieser Mensch vorhatte. Die Daten des Energiewächters belegten zwar eindeutig, dass JW00 den Fall Sektor 3212 offiziell abgeschlossen hatte. Allerdings erst nachdem er die Technikerbande dorthin gehetzt hatte. Die hatten aber leider nichts feststellen können.

Sie musste grinsen, denn das war ihr Beitrag zum Spiel gewesen. Sie hatte es gerade noch geschafft RW00 zu informieren. So konnten alle Anlagen, die Energie abgezapft hatten, deaktiviert und abmontiert werden und der selbst gebaute Energietank der Gruppe wurde nun über eine versteckte Weiche, zusammen mit den offiziellen Tanks über die Tretmühle der Anlage 3212 gespeist. Und alle aus der Gruppe strampelten fleißig, wie es brave Bürger dr Ökodekade II nun mal so tun.

Die Energietanks waren bei der Kontrolle also alle sauber gewesen und seither hatte es keine weiteren Spannungsschwankungen mehr gegeben. Die Gruppe war nach dieser Überprüfung allerdings zur Sicherheit erst mal in eine selbst verordnete Ruhephase übergegangen und das würde so bleiben, bis JW00 endlich abzog.

 

Warum zum Teufel verbrachte JW00 immer noch fast seine gesamte Arbeitszeit und einen beträchtlichen Teil seiner Freizeit im Technikraum der Wohneinheit? Zu allem Überfluss verschaffte er sich den illegalen Zutritt zur Schaltzentrale der Anlage ganz offensichtlich mit einem geheimen Dekoder, dessen Teile JW00 dummerweise ausgerechnet ihr vor die Füsse geworfen hatte. Hielt er sie wirklich für so dumm, dass sie nicht wusste, was sie da gesehen hatte?

Oder, anders gefragt, was wusste er darüber hinaus noch, das ihn dazu motivierte sich im Sektor 3212 weiterhin herum zu treiben.

 

Sie gab alle Daten in ihr persönliches Informationssystem ein und sortierte sie übersichtlich auf ihrem Homescreen. Ihre Anlage war durch einen Trick vom Hauptsystem unabhängig gemacht worden – ein Abgleich mit dem zentralen Server, sonst Standard bei allen Homescreens, hätte wohl das Ende ihr Karriere bedeutet.

Sie blickte auf die Daten der beiden ungleichen Brüder:
Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen JW00 und RW00 waren in dieser Geschichte wohl eher Zufall und somit zu vernachlässigen. Natürlich war sie aus allen Wolken gefallen, als besagter JW00 gerade aus RW00s Tür kam, während sie schnaufend am Treppenabsatz erschien. Sie war alles andere als unsichtbar gewesen in diesem Moment. Zum Glück war JW00 gedanklich wohl ziemlich weit weg und hatte konzentriert zu Boden geblickt, was ihr die Zeit gegeben hatte, wie ein Blitz um die Ecke zu schießen, ohne dass er etwas davon mit bekam.

Ihr Instinkt sagte ihr außerdem, dass JW00 nicht darauf aus sein konnte, seinem eigenen Bruder etwas an zu hängen, sonst hätte er ihm damals nicht den Job in der Algenzuchtanlage beschafft, nachdem RW00 mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war. Auch das stand schließlich in den Akten.

Sie spielte kurz mit dem Gedanken zum Chef zu gehen und JW00 und seinen Zauber-Dekoder auffliegen zu lassen. Das würde ihr Punkte bringen, doch was, wenn JW00 doch mehr wusste? Das könnte unter Umständen das Ende der Gruppe bedeuten. Das zu riskieren wäre einfach nur dumm. Sie selbst und über hundert Freunde wären dann auf dem sicheren Weg ins Straflager an der Erdoberfläche.

Es musste eine andere Lösung geben! Nur welche, das wollte ihr partout nicht einfallen.

Was bei allen Überlegungen übrig blieb, war der Risikofaktor JW00. Mit seiner dämlichen Schnüffelei legte er alle Aktivitäten lahm und das seit fast drei Wochen. Der wohnte ja schon fast im Technikraum 3212.
Das ewige Beobachten und Warten, dass etwas passiert, zerrte an ihren Nerven. Sie musste raus aus der Passivität – dieser Schwebezustand fing an ihr den Verstand zu rauben. Es fehlte ihr auch, einfach mal wieder richtig abrocken zu können.

Sie lief in ihrer Wabe hin und her, und kam sich selbst vor, wie ein im Zoo gefangener Tiger in einem viel zu engen Käfig. So hatte sie es zumindest in einem der Filme über die Vorzeit gesehen. Zum Energieverschwender nochmal – was die Menschen damals alles getan hatten war wirklich verabscheuenswert. Hatte sich daran wirklich etwas geändert? Sie schüttelte ihre Locken – jetzt nur nicht ablenken lassen…
Die wichtigere Frage war wohl: Was trieb JW00 im Technikraum? Welche Informationen hoffte er dort zu bekommen? Ha, das war’s – Informationen. Dort musste es Zugang zu irgendwelche Daten geben, die den Energie-Inspektor JW00 scheinbar sehr interessierten.

Sie würde wohl morgen ihre neue Informationsquelle anzapfen müssen. Der Herr, der die Daten kontrollierte, würde ihr sicher weiterhelfen können!

 

to be continued – release date of part 5 probably sometetimes around December the 9th in the grey year of 2012

Earth 3.1 “Die andere Seite” – Teil 3

Zum besseren Verständnis dieser Geschichte kann es beitragen, wenn du Teil eins bis vier von Earth 3.0 sowie Teil 1und 2  von Earth 3.1 gelesen hast – zu finden unter Kategorien “Renaldos Welt”. Viel Vergnügen!

 

Teil 3

Wir finden uns ausgerechnet jetzt in einer ethischen Hilfslosigkeit wieder, wenn wir zu ersten Mal mit dem Äußersten, dem irreversiblen Zusammenbruch des Lebenssystems der Erde, konfrontiert werden. Unsere ethischen Traditionen befassen sich zwar auch mit dem Suizid, dem Homizid und dem Genozid, versagen aber angesichts des drohenden Biozids, der Auslöschung der sehr störanfälligen Lebenssysteme der Erde, sowie vor einem möglichen Geozid, der Vernichtung der Erde selbst.
Wir stehen vor vollkommen neuen Problemen. Um diese vollkommen zu verstehen, müssen wir einsehen, dass sich der Missbrauch unserer wissenschaftlich-technischen Macht letztlich nicht aus der wissenschaftlichen Tradition selbst ergibt, obwohl der Vorwurf sich gewöhnlich allein gegen den Eingriff der empirischen Forschung in den Funktionszusammenhang der Natur richtet. Letztlich gehen die Gefahr und der Missbrauch auf die Defizite der spirituellen und humanistischen Traditionen der westlichen Kulturgeschichte zurück. Diesen Traditionen selbst wohnt der Drang zur Entfremdung des Menschen von der Natur inne. Sowohl unsere religiösen als auch unsere humanistischen Traditionen dienen primär der anthropozentrischen (Selbst-)Erhebung des Menschen.“

(Thomas Berry, „Das Wilde und das Heilige“ 1998 „Kapitel 15 „Die Wege der Zukunft“)

Die Energie-Inspektorin AL00 schloss den Schirm. Diesmal hatte sie die Worte des großen Thomas Berry benutzt um mit seiner tiefen Wahrheit den Tag zu beenden. Ihr war bewusst, dass mit den Folgen des angekündigten Biozids jetzt alle Lebewesen zu kämpfen haben. Das Leben der Verursachergattung Mensch hatte sich ganz besonders drastisch geändert. Im Gegensatz zu vielen anderen Gattungen hatte der Mensch zumindest überlebt. Doch um welchen Preis, das Paradies hatte sich in eine Beinahe-Hölle verwandelt, die die Menschen unter die Erde und unter das Wasser gezwungen hatte. Und war das Leben nicht auch freudlos geworden? Wenn die Geburtenrate ein Indikator dafür ist, dann auf jeden Fall. Da half es auch nicht, dass die Menschheit sich vom rücksichtslosen Zerstörer zum vermeintlichen Bewahrer gewandelt hatte und dabei so verbissen war, dass sie immer wieder über das Ziel hinaus schoss. Der Widerspruch zwischen dem, was sie und alle andern lebten und dem was als die wahre Lehre betrachtet wurde, nagte immer stärker an ihr, je mehr sie die Schriften studierte und je mehr sie…, nein, da wollte sie jetzt auf keinen Fall darüber nachdenken…
Nicht heute, wo sie den größten Teil des Tages damit verbracht hatte einem, zugegebenerweise dubiosen, Kollegen hinterher zu spionieren.

Das hatte jedoch nicht den archaischen Genuss getrübt, den sie empfunden hatte, beim abendlichen Gruppentreffen. Sie konnte die Musik fast noch körperlich spüren, die mit ihrer elektrischen Energie jede Faser ihres Körpers zum Schwingen gebracht hatte und ihr Emotionen und Visionen ermöglichte, die sie vorher schlicht nicht gekannt hatte. Das war doch die Magie, das Wilde und das Heilige, von dem Thomas Berry geschrieben hatte, vielleicht das Letzte, was davon noch übrig war? Was sollte denn daran Schlechtes sein?
Vielleicht war sie doch nicht so gut geeignet für den Job bei der Energiebehörde? Mit diesen Gedanken lag sie lange wach, bevor sie endlich einschlief.

 

Am folgenden Tag war AL00 besonders freundlich gestimmt, obwohl sie deutlich früher aufgestanden war als sonst. Doch nach den schrecklichen Träumen hatte sie beschlossen heute ihr Bestes zu geben, um vielleicht doch die eine oder andere Information heraus zu kitzeln, zuerst aus dem zynischen Energiewächter und später aus dem Hauptobjekt ihres aktuellen Auftrags, dem unnahbaren und eigenbrötlerischen Kollegen, der sie wie Luft behandelte. Sie beschloss ihm zu zeigen, wie dick Luft sein kann, nämlich so dick, dass sie sichtbar würde und undurchdringlich!

 

Daher verbrachte sie ein paar Minuten länger als sonst in der Nasszelle und verpasste ihren unbezwingbaren Locken die Idee einer Form und schminkte sich ihre Augen, um ihnen noch mehr Tiefe und Ausdruck zu geben. Sie warf ihrem Spiegel einen verwegenen, herausfordernden und, wie sie meinte, sinnlichen Blick zu, musste selber darüber lachen und lächelte immer noch, als sie sich auf dem Driveway in das Transportband einhängte.

 

Wenig später betrat sie beschwingt und voller Elan die Energiebehörde durch den Seiteneingang, der für das Personal bestimmt war.
Dort wäre sie beinahe über eine, im Halbdunkel des Eingangs am Boden kauernde Person gestolpert.
Eine wohlbekannte Stimme fuhr sie an: „He, halt und immer schön langsam, sonst trittst du mir noch was kaputt hier.“
Als ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten sah sie JW00, wie er auf Knien die Einzelteile eines Dekoders in Windeseile aufklaubte und in seiner Jacke verschwinden ließ.
Ganz offensichtlich wollte er nicht, dass AL00 sehen konnte was hier vor sich ging, denn er schaute sie nicht mal an, erhob sich und verschwand in Richtung Parkplatz und Driveway.
Die passenden Worte, die ihr sowie nicht eingefallen wären, hinunterschluckend, drehte sie sich, leicht verwirrt aber um eine Erkenntnis reicher, um und stieg die Treppe hinauf.
Das war ganz eindeutig kein Standard-Dekoder gewesen, was sie da am Boden gelegen hatte und das erklärte Einiges. Außerdem hob es den Herrn JW00 und seine Methoden ein bisschen aus dem Bodennebel heraus, mit dem er sich und seine Arbeit so gerne umgab.
Der glaubte doch nicht wirklich, dass sie so blöd sei und nicht wusste, was sie da eben gesehen hatte.

Das Lächeln von vorhin kam zurück in ihr Gesicht und hielt sich dort, als die Schiebetür des Vorraums aufglitt und sie die fünf Schritte in den Kontrollraum zurücklegte.

Es hielt sich immer noch, als sie den Wächter leise schnarchend, in seinem Sessel hängend, antraf. Sie stuppste ihn kurz an und als er nicht reagierte, stuppste sie auch mit dem Zeigefinger auf dem Schirm zuerst das Symbol des Dienstplans an und dann JW00. Doch noch bevor die erste Information am Schirm erschien, hörte sie plötzlich auf zu Lächeln, denn irgendetwas hatte sie ziemlich nachdrücklich am Arm gepackt und zog sie zurück.

Was machst du da schon wieder?“ fragte er mit vom Schlaf rauher Stimme. „Interessierst du dich immer noch für JW00? Hat er dir nicht deutlich genug zu verstehen gegeben, dass du dich um deine eigenen Angelegenheiten kümmern sollst?“
AL00 riss sich verärgert los, bekam sich aber sofort wieder in den Griff und lächelte den Wächter mit großen Augen an.
„Stimmt!“ sagte sie, „es ärgert mich einfach, dass er mich ständig ignoriert, dabei mag ich ihn eigentlich recht gern und ich könnte bestimmt viel von ihm lernen, was diesen Job hier betrifft. Deshalb interessiert es mich auch, was er gerade macht und wie lange er schon mit seinem Fall beschäftigt ist. Für mich wäre es eine tolle Gelegenheit, wenn ich ihm helfen könnte seinen Fall zu lösen. Vielleicht merkt er dann, dass er mich unterschätzt.“ Sie blickte ihn mit großen Augen und trotzigen Lippen an.
„Und warum fragst du mich nicht einfach? Was hier passiert ist doch kein Geheimnis, oder?“

Jetzt war es wieder da, das Lächeln, gewinnender als je zuvor! Wie hatte sie sich nur so täuschen können. Der Energiewächter war scheinbar ein richtig netter Kerl und nach 15 Minuten anregender Unterhaltung, zwar mit einigen weniger ergiebigen Umwegen über die anstrengende und meistens stinklangweilige Aufgabe des Energiewächters, für die er im Übrigen viel zu wenig Anerkennung erhielt, verließ sie die Behörde mit allen gewünschten Informationen im Gepäck und mit einem sehr zufriedenen Dauerlächeln im Gesicht.

Was konnte an so einem Tag noch schief gehen?

Earth 3.1 „Die andere Seite“ – Teil 2

Zum besseren Verständnis dieser Geschichte kann es beitragen, wenn du Teil eins bis vier von Earth 3.0 sowie Teil 1 von Earth 3.1 gelesen hast – zu finden unter Kategorien „Renaldos Welt“. Viel Vergnügen!


 

Es gibt eine grundlegende Differenz zwischen physischer und psychischer Energie. Physische Energie vermindert sich durch ihren Gebrauch. Wird sie oft in Anspruch genommen, bleiben wir mit lebloser Materie und Abfallprodukten zurück, die oft genug schädlich für den Lebensprozess sind. Im Gegensatz dazu wachsen die psychischen Energien mit ihrer Anwendung und der Zahl derer, die an diesen Handlungen partizipieren. Materielle Dinge vermindern sich, je mehr Menschen sie teilen, während immaterielle Dinge mit der Anzahl der Menschen, die sie besitzen, zunehmen. Wenn ein Nahrungsmittel von vier Menschen geteilt wird, erhält jeder mehr davon, als wenn sich zehn Menschen mit derselben Menge Nahrung beschränken müssen. Verständnis, Freude, spirituelle Einsicht, Musik und Künste werden, wie auch immer im Einzelnen, gesteigert, wenn die Aufmerksamkeit für sie zunimmt, oder wenn sie von einer Person zu einer anderen weitergegeben werden. Ein völlig individuell bleibendes Gefühl entspricht nicht der menschlichen Seinsweise. Gefühle müssen geteilt werden. Durch dieses Teilen wächst ihre Resonanz, und ein erweiterter Horizont menschlicher Erfahrung wird geschaffen.“

(Thomas Berry, „Das Wilde und das Heilige“ 1998 „Kapitel 15 „Die Wege der Zukunft“)

 

AL00 hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und nur die Worte Thomas Berrys hatten sie, zumindest ein bisschen, getröstet. Woher sollen wir Menschen wissen, was richtig und was falsch ist, was kontraproduktiv für die Gemeinschaft oder was ihr nützt, wenn doch die wahren Worte der Lehre und die Bestimmungen und Gesetze der Ökodekade 2 nicht zusammenpassten – oder zumindest nicht so zusammenpassten, dass sie selbst den Sinn und den Zusammenhang verstehen konnte. Jedes für sich allein gesehen war verständlich und klar, doch schon durch einen einzigen Satz, gesprochen oder geschrieben, relativierte sich schon wieder das Ganze.

Was, zum Energieverschwender nochmal, hatte JW00 im Sektor 3212 zu schaffen und was wollte er dort herausfinden? Aber vielleicht bearbeitete er ja nur einen ganz normalen Einspeisungsrückstand, einen Routinefall also, wie die meisten aller Fälle, und dann musste sie sich überhaupt keine Gedanken machen. Zum Glück gab es nur sehr wenige Menschen, die ihren Beitrag zur Energiegewinnung in den „Tretmühlen“, nicht zuverlässig leisteten und damit zu Fällen für die Energie-Inspektoren wurden.

 

Sei es drum, heute würde sie JW00 wohl beschatten müssen, wie sonst sollte sie herausfinden was der den ganzen Tag so trieb und ob er sich dabei an die Vorschriften hielt.

 

JW00 schien keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Er bewegte sich gleichmäßig auf dem Driveway und es war ihr ein Leichtes an ihm dran zu bleiben. Auch blickte er sich kein einziges mal um – er schien nicht auf die Idee zu kommen, dass ihn jemand verfolgen könnte. Es war fast ein bisschen langweilig und ihre Aufmerksamkeit begann schon nach zu lassen, als JW00 plötzlich abbog und in einer Seitenstraße verschwand. AL00 hatte überhaupt nicht mitbekommen wie er sich aus der Führungsschiene ausgeklinkt hatte. Nun musste sie bis zur nächsten Abzweigung warten bevor sie selbst den Driveway verlassen konnte. Mist, warum hatte sie sich nur einlullen lassen, vom billigsten aller Tricks?

JW00 war lange vor dem eigentlichen Ziel von der Hauptroute abgewichen. Doch vielleicht wollte er ja gar nicht zum Sektor 3212? AL00 merkte, dass ihr Kopf voller ungeklärter Fragen und Gefühle war, die sie vom konzentrierten Arbeiten abhielten.

Es war wohl etwas dran an der Regel, die Ermittlung abzugeben, wenn man persönlich in einen Fall involviert war.

Letzteres hing allerdings davon ab in welchem Fall JW00 tatsächlich ermittelte?
„Verdammt“, dachte sie, „jetzt geht das in meinem Kopf schon wieder los“. Sie verließ den Driveway und bewegte sich auf das nächste Navi zu, das sich wie erwartet an der Kreuzung befand. Dort ließ sie sich den kürzesten Weg zum Sektor 3212 auf das Display ihres Fahrrades legen. Sie war willens ihren Fehler wieder auszugleichen. Vorausgesetzt JW00 hatte das gleiche Ziel wie sie, dann hatte sie die Chance vor ihm dort zu sein und ihn zu erwarten.

Die Wohnwabe mit der Bezeichnung 3212 war ihr wohlbekannt. Es gab dort zwei Eingänge – sie verbarg sich im Haupteingang, denn sie hielt es für wahrscheinlich, dass JW00 genau dort auftauchen würde. Käme er aus einem der Gänge dann würde sie ihn rechtzeitig entdecken und könnte sich im Keller verbergen. Den zweiten Eingang zog sie gar nicht in Erwägung, er war als Serviceeingang den Fachleuten vorbehalten.

Viel Zeit zum Nachdenken ließ ihr JW00 nicht. Sie hatte serade ihren Platz bezogen, als er um die Ecke segelte. Er stellte das Rad ab, blickte sich kurz um und verschwand im Tunnel Richtung Serviceeingang. Nun musste sie sich beeilen, AL00 rannte los. Sie wollte auf keinen Fall riskieren ihn nochmal zu verlieren. Vorsichtig blickte sie mit einem halben Auge um die Ecke. JW00 holte gerade einen Dekoder aus der Jacke mit dem er den Service-Eingang öffnete und im Haus verschwand. Wo, zum Energieverschwender nochmal, hatte dieser Kerl einen Dekoder für den Service-Eingang her?

In Situationen wie dieser hatte man als Verfolgerin nur eine Chance: Sie musste die Tür erwischen, bevor sie zufiel, musste durchschlüpfen und dafür sorgen, dass das Schließgeräusch noch rechtzeitig erklang und sie musste darauf hoffen, dass JW00 nicht direkt hinter der Tür im Gang auf sie wartete.

Alle fünf Wünsche gingen in Erfüllung, doch damit war ihr Kontingent erschöpft. Sie sah zwar noch, wie JW00 um die Ecke bog, doch als sie ebendiese Ecke erreichte war der Energie-Inspektor wie vom Erdboden verschluckt.
Sie fluchte innerlich über ihr Ungeschick und verfluchte JW00 weil er so unberechenbar war. Doch gab es nichts, das sie jetzt noch tun konnte.

 

Zwei Parallelgänge weiter, vorbei an der Tretmühle, in der die Bewohner der Wabe ihre Energieeinspeisung erledigten, befand sich der geheime Zugang zu dem Raum in dem sich ihre geheime Gruppe jetzt und heute traf.

Diese Gruppe war das, was ihr Gewissen ständig auf die Probe stellte. Einerseits illegal – andererseits spürte sie den Geist Thomas Berrys nirgendwo so deutlich als in dieser Gemeinschaft.

Wenn ich schon mal da bin, dann kann ich auch gleich zur Probe gehen, dachte sie sich. Sie musste ohnehin eine Warnung abgeben. Zumindest RW00 sollte darüber informiert sein, dass die Energiebehörde möglicherweise etwas bemerkt hatte und dass einer der gefürchtesteten Inspektoren hier herumschnüffelte.

 

Fortsetzung folgt!

Earth 3.1 „Die andere Seite“ – Teil 1

Zum besseren Verständnis dieser Geschichte kann es beitragen, wenn du Teil eins bis vier von Earth 3.0 gelesen hast – zu finden unter Kategorien „Renaldos Welt“

Das menschliche Abenteuer beruht zur Gänze auf der Ehrfurcht vor der Erde, auf ihrer Verehrung und der Freude an ihr sowie an allem, was lebt und aus der Erde hervor wächst. Sobald wir uns von den Lebensvorgängen und der tiefen, geerdeten Stimmung, die sie uns vermitteln, abtrennen, sind die wesentlichen Grundlagen unserer Zufriedenheit mit dem Leben geschwächt. Keines unserer von Maschinen gefertigten Produkte, kein computergeneriertes Erzeugnis kann jene völlige Zustimmung zum Leben aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins hervorbringen, die wir brauchen, um die Erde zu erhalten und uns selbst, sowie die integrale Erdgemeinschaft in die gefahrvolle Zukunft zu führen.“
(Thomas Berry, Kapitel 15 „Die Wege der Zukunft“)

Die Energieinspektorin AL00 seufzte tief und schloss den Schirm. Ihre tägliche Lektüre der Schriften des großen Thomas Berry gab ihr, wie immer, dieses wunderbare Gefühl Teil eines großen Ganzen zu sein – Teil der Gemeinschaft der überlebenden Menschen in der Ökodekade 02, die den vermeintlichen Fortschritt der Staaten der Vorgeschichte, also den konsequenten Raubbau aller Ressourcen und die Zerstörung der Natur, endlich hinter sich gelassen hatte.

Allerdings war es jetzt an der Zeit sich auf den Weg in die Arbeit zu machen. Sie rannte die Treppen von ihrer Wohnwabe im 13. Stockwerk der dritten unterirdischen Ebene herunter bis auf den „Driveway“ und griff nach einem der bereitstehenden Fahrräder. Wie die meisten Menschen war sie blass vom Mangel an Sonnenlicht aber schlank und durchtrainiert, von den zahlreichen Bewegungsübungen des Alltags.

Nach wenigen Kilometern bog sie ab in einen der vielen kleineren Gänge, die das Stadtbild im Osten der Siedlung 3 so eindringlich prägten. Wer sich hier nicht auskannte, war auf die Hilfe der Navis angewiesen, die es mittlerweile an jeder zweiten Ecke gab.
AL00 strich sich eine ihrer widerspenstigen dunklen Locken aus dem Gesicht und stürmte entschlossen durch den Eingang zur Energieaufsichtsbehörde. Sie war ausgeruht und beseelt von dem Willen einen weiteren Tag ihres Lebens gemäß der Lehren Thomas Berrys im Dienste der Gemeinschaft zu verbringen.

 

Als sie am Energiewächter vorbeiging, der die sich ständig aktualisierenden Anzeigen der Screens beobachtete, nuschelte dieser, unfreundlich wie immer, „du sollst zum Chef und zwar sofort“! Ohne, dass er sie auch nur eines Blickes gewürdigt hätte, drückte er weiter auf seinen Knöpfen herum um zwischen verschiedenen Ansichten hin und her zu schalten. AL00 stemmte die Hände in die Hüften und hätte sich beinahe dazu hinreißen lassen ein „Danke für den freundlichen Morgengruß“ an den Rücken des Wächters zu richten, stattdessen stampfte sie unhörbar mit dem Fuß auf und ging weiter in Richtung des Büros des Chefs vom Dienst.

Fünf Minuten später hatte sie einen neuen Auftrag, der ihr absolut nicht gefiel – einerseits. Andererseits – konnte die Sache durchaus interessant werden, wenn sie sich an die Fersen des Eigenbrötlers dieser Schicht heften würde, der, obwohl er stets alleine ermittelte, beeindruckend viele Fälle in rekordverdächtig kurzer Zeit löste.
Außerdem gehörte er zu der sehr kleinen Gruppe von Mitarbeitern der Behörde, die ihr nicht die Aufmerksamkeit schenkte, die ihr von allen anderen Mitarbeitern auf Grund ihres freundlichen Wesens und ihres, wahrscheinlich noch freundlicheren Aussehens, zuteil wurde.

Genau genommen bestand diese Gruppe exakt aus zwei Personen, nämlich dem Wächter, der sie konsequent ignorierte und dem Energie-Inspektor JW00, der sie abwechselnd ignorierte oder damit aufzog, dass sie wohl nur wegen ihres Aussehens Jahrgangsbeste geworden und folglich zu unrecht direkt zur aktiven Energie-Inspektorin befördert worden sei. Das wäre aber sowieso egal, da sie ohne jegliche praktische Erfahrung wohl ohnehin nicht länger als ein paar armselige Monate in der exekutiven Abteilung überleben würde.

 

So wäre es ihr wohl auch ergangen, hätte nicht ausgerechnet besagter JW00 ihr den entscheidenden Tipp gegeben, mit dem es ihr nach wochenlangen vergeblichen Ermittlungen doch noch gelungen war zumindest ihren dritten Fall zu lösen.

 

Ihre Freude bekam damals allerdings einen gehörigen Dämpfer, als sie sich mit einem kleinen Geschenk und ihrem bezaubernden Lächeln bei ihm bedanken wollte. Er hatte nur mit der Schulter gezuckt und während er sich an ihr vorbei schob irgend etwas gemurmelt, das so ähnlich geklungen hatte wie: „Kann sein, dass ich einen Fehler gemacht habe.“

 

Seither war sie ihm lieber aus dem Weg gegangen, so wie es alle anderen auch taten. Allerdings beteiligte sie sich nicht an dem Getuschel über ihn, das hinter seinem Rücken stattfand – sollte er doch machen was er wollte, so lange er sie dabei nur in Ruhe ließ.

 

Sie setzte sich an einen freien Schirm und loggte sich ein um ihren Auftrag zu erfüllen. Wenn sich der Verdacht des Chefs bestätigen würde, dass JW00 unsauber war, dann würde sie ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, abservieren. Wer der Gemeinschaft nicht diente, musste gemeldet werden, damit er an einem Umerziehungsprogramm, im schlimmsten Fall an der Oberfläche, teilnehmen konnte und so zu einem wertvollen Teil der Gemeinschaft gewandelt würde.

Sie rief den Dienstplan und die aktuellen Berichte von JW00 auf. Sie war nicht überrascht, dass sie nichts fand, denn er war bekannt dafür, seine Fälle so schnell zu lösen, dass er keine Zwischenberichte schreiben musste.

Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als den Energiewächter zu fragen, an welchem Fall JW00 gerade arbeitete. Wie unangenehm!
Als sie in den Überwachungsraum kam, war der Wächter allerdings gar nicht da – was für eine wunderbare Gelegenheit! Er hatte das Interface nicht mal deaktiviert und so konnte sie einfach eine Standardsuche starten. Sie sagte: “Zeige alle aktuellen Fälle und wer sie bearbeitet.“

Am Screen erschien blitzschnell eine Liste und sofort hatte sie JW00 entdeckt und den dazugehörigen Fall: „Sektor 3212“.

 

Als der Wächter von der Toilette zurück kam, sah er wie eine sehr bleiche und scheinbar völlig verstörte Energie-Inspektorin AL00 sich vom Schirm abwandte und ohne ein Wort den Raum verließ.

Fortsetzung folgt

Eine siebzehnte Kurz-Zwischenkrise, oder: brisante politische Themen…

Der Paranoiker ist irritiert, erreichte ihn doch dieser Tage eine elektronische Nachricht, die seither in seinem Kopfe herumirrt. Sie stammte von einem Kreisverband jener Partei, deren Parteibuch er stolz inne hat, und kündigte ein Seminar an – so weit, so gut. Was die Irritation auslöste, ist das Thema: ‚Mehr Frauen-Straßennamen!‘.

Krise! Oder vielleicht doch Antikrise? Sollten wir wirklich keine dringenderen Probleme haben, über die wir uns in Seminaren und Voträgen informieren und streiten sollten, dann doch wohl letzteres…

P.S.: Der Paranoiker meint, etwas lästern zu dürfen, schließlich verbrachte er den gößten Teil seines bisherigen Lebens in einer Straße, die – na, kann es sich schon jemand denken? – genau, einen Frauennamen trug und trägt! Ob seine Heimat Namens-bezüglich da prinzipiell schon ausgewogener ist als seine Wahlheimat, entzieht sich allerdings seiner Kenntnis…

P.P.S.: Bei der Kanzlerfrage im nächsten Jahr ist der Paranoiker übrigens ganz Chauvi alter Schule und hofft auf einen Männernamen…  😉

Earth 3.0 vierter Teil

Lies zum besseren Verständnis zuerst die Teile 1, 2 und 3!

Earth 3.0, vierter Teil

 

RW00 beschloss das nächste Treffen abzusagen. Er ging hinaus auf den Flur um sich die Beine zu vertreten und um nachzudenken. So wie sein Bruder, der Energie-Inspektor JW00, plötzlich aufgetaucht war, so war er wieder verschwunden, nicht mal sein Vitaminwasser hatte er ausgetrunken. So eilig hatte er es sonst nie!

Aber was hatte er denn bis jetzt wirklich herausgefunden? Seine Einleitung, „dass jetzt alles aufgeflogen sei“, war eine Provokation, ein billiger Bullentrick, auf den er natürlich nicht hereingefallen war.

Die andere Seite war, dass die Annahme, durch eine kurzfristige Überproduktion in der Tretmühle das anschließende Anzapfen der Energietanks ausgleichen zu können, wohl falsch war. Irgendein Fehler musste in den Berechnungen sein, oder die Gruppe hatte eine undichte Stelle? Nein, undenkbar, RW00 würde für jeden und jede die Hand ins Feuer legen.
Allerdings wurde es höchste Zeit, dass der geheime Energietank endlich an die Tretmühle angeschlossen würde. Wenn alle aus der Gruppe dann nur ein bisschen über das Pflichtsoll hinaus strampeln würden, dann hätten sie immer genug Energie für die nächste Session zur Verfügung.

 

Die Ökodekade II hatte den Umgang der Menschen mit Energie völlig neu definiert. Die Verwendung war in strengen Gesetzen geregelt. So hatte die Energienutzung, die zum Erhalt der Gemeinschaft notwendig war, absoluten Vorrang vor dem individuellen Bedarf, der wiederum in zwei mögliche Kontingente aufgeteilt war und zwar „lebensnotwendig“ und „notwendig“. In beiden standen jedem Bewohner die gleiche Menge zu. Dazu kamen zahlreiche Energiesparmaßnahmen, wie zum Beispiel die Abschaltung aller Quellen in den Ruhephasen. Wer Energie in einem Kontingent sparte, konnte damit das andere Kontingent in gewissem Umfang erhöhen. Der Energieverbrauch war so auf ein Bruchteil des Umfangs geschrumpft, der in der Vorzeit verschwendet worden war.

 

Nachdem JW00 den Besuch bei seinem Bruder abgebrochen hatte, war er schnurstracks nach Hause geradelt. Er hatte nur wenig geschlafen und war schon lange vor Schichtbeginn wieder in der Energiezentrale aufgetaucht.

Er würde als erstes ein Techniker-Team in den Sektor 3212 schicken, die den Laden dort umkrempeln würden. Wenn es eine Manipulation am System gäbe, dann würden sie das bestimmt entdecken und sofort melden und dann würde sich JW00 auf die Lauer legen. In der Zwischenzeit konnte er ja die Datenbank nach interessanten Informationen über seinen Bruder befragen.

Dieser hatte zu Beginn der Ökodekade I, unter großen Anpassungsschwierigkeiten gelitten. Immer wieder hatte er öffentliche „individuelle Freiheit“ gefordert und war als „nicht in die Gemeinschaft passend“ eingestuft worden. JW00 hatte seine ganzen Beziehungen einsetzen müssen, um ihn vor dem Straflager zu bewahren. Seit JW00 ihm damals seine Lage deutlich gemacht hatte, war er allerdings unauffällig geblieben. Keine weiteren Einträge, weder positive noch negative.

Im Display wurde die Meldung des Technikteams eingeblendet, dass die Ladung der Energietanks wieder stabil und im Normbereich seien. Ein technisches Problem läge also nicht vor. Deshalb schlagen sie vor, die Nachforschungen zu beenden und im Bericht den Fall dem jährlich etwa einen Prozent von ungeklärten aber unproblematischen Schwankungen zuzuordnen.

 

JW00 hatte nun die Möglichkeit zu widersprechen, hätte dann aber seine bisherigen Ermittlungsergebnisse in einem Bericht zusammenfassen müssen. Ermittlungsergebnisse, an die er durch den illegalen Einsatz seines Universaldekoders gekommen war. Kurz entschlossen bestätigte er die Einstellung des Falles ohne besonderes Ergebnis. Seine Ermittlungen gingen nun in die inoffizielle Phase.

 

Er ließ drei Tage verstreichen, ohne im Sektor 3212 aufzutauchen. Auch bei seinem Bruder meldete er sich nicht. Dann begann er täglich die Schaltzentrale der Wohnanlage aufzusuchen um dort die Daten systematisch auszuwerten.

In den Wochen vor der Warnmeldung waren immer die gleichen Abläufe festzustellen. Die Bewohner der oberen Stockwerke suchten vormittags und abends gemeinsam die Tretmühlen auf. Dort erledigten sie ihr Pensum und gingen zurück in ihre Waben. Das ging so bis zu dem Tag an dem die Alarm ausgelöst worden war und JW00 seine Bruder besucht hatte. Seither hatte sich das merkwürdige Schwarmverhalten gründlich verändert. In Grüppchen vermischten sie sich mit den anderen Bewohner der Anlage und besuchten die Tretmühlen zu unterschiedlichen Zeiten. Eine Regelmäßigkeit war nicht zu erkennen.

Nach drei Wochen war das immer noch so und JW00 war drauf und dran seine Schnüffelei zu beenden und seinen Verdacht selbst als Hirngespinst abzuhaken.

Schließlich konnte er nicht bis zu seinem Lebensende einen großen Teil seiner Freizeit im Schaltraum einer Wohnanlage im Sektor 3212 verbringen.
Doch seine Geduld wurde belohnt. Genau dreieinhalb Wochen nach seinem Besuch, hatte sich der Schwarm scheinbar wieder irgendwo versammelt, denn sie hatten alle gemeinsam ihre Waben verlassen und kamen mehr als zwei Stunden später fast zeitgleich zurück. Allerdings gab es davor keine gemeinsame Besuche in den Tretmühlen und keinerlei energetische Schwankungen und schon gar keinen Alarm mehr.

An den folgenden Tagen war das Verhalten dann wieder normal. Doch JW00 war sich seiner Sache sicher und er beschloss, dass er da sein würde, wenn der Schwarm wieder ausfliegen würde.

 

Dies geschah allerdings erst nach weiteren zwei langen Wochen in denen er beinahe schon im Schaltraum eingezogen war. Meist verbrachte er seine Zeit dort lesend oder dösend oder er betrachtete die Isolierung, die sich an mehreren Stellen langsam von den Wänden löste und den Boden mit Staub bedeckte. Ein paar der seltsamen Leitungen, die von allen Seiten den Raum durchzogen, schienen erst kürzlich angebracht worden zu sein – das war aber nichts, über das er nachdenken sollte.

 

..

Es war für ihn eine leichte Übung den Schwarm im Treppenhaus zu orten, nachdem das System das Verlassen der Wohnwaben angezeigt hatte. Die Gruppe ging zielstrebig den Weg, den alle Bewohner am häufigsten gehen mussten, nämlich hinab in die Katakomben, wo sich die Tretmühlen befanden. Als die Gruppe an der Tür des Schaltzentrums vorbei gezogen war, hinter der sich JW00 verbarg, wartete er ein paar Sekunden und heftete sich dann an ihre Fersen. Vor dem Gang zu Tretmühle schien es eine Abzweigung zu geben, denn er konnte gerade noch einen Mann und zwei Frauen um die Ecke biegen sehen. Er huschte hinterher, doch an der Ecke angekommen war die Gruppe, wie vom Erdboden verschluckt.

Er blieb stehen und lauschte. Nichts, absolut nichts war zu hören. Doch es gab hier zwei Gänge, der eine, war der, der früher zur Restesammelstelle geführt hatte. Jetzt war er zugemauert, denn durch die vielen Verwertungssysteme gab es so gut wie keinen Abfall mehr und die Sammelstelle wurde nicht mehr gebraucht. Alles konnte heute wiederverwendet oder direkt in den Waben energiegewandelt werden. JW00 folgte also dem anderen Gang, der zum Lüftungssystem führte.

Dort roch es zwar fürchterlich aber fast 50 Menschen waren vor seinen Augen verschwunden und er konnte sich nicht erklären wohin. Also ertrug er den Gestank und begann, leicht wütend auf sich selbst, weil er die Gruppe verloren hatte, die Wände abzutasten. Irgendwo musste ein geheimer Zugang sein, zu irgendwas, denn in Luft hatten sie sich bestimmt nicht aufgelöst.

Nach etlichen vergeblichen Versuchen eine geheime Tür zu entdecken, ließ er sich auf den Boden sinken. Er würde wohl warten müssen, bis die Vögel wieder in ihre Nester zurückkehren würden. Er würde ihnen dann seinen Dienstausweis vor die Nasen halten und dann würde ihnen nichts anderes übrig bleiben, als mit der Wahrheit raus zu rücken.

Er fischte ein Reinigungstuch aus seiner Hose und begann seine Nickelbrille zu putzen. Gedanklich stellte er sich bereits auf weitere zwei Stunden des Wartens ein, als er ein rhythmisches Vibrieren des Bodens zu bemerken glaubte. Nein, nicht nur der Boden vibrierte, auch an den Wänden war es deutlich zu spüren. Er stellte seinen Atem ein, spürte und lauschte. Zu der Vibration passend hörte er nun ein ganz leises tiefes Klopfgeräusch. Es schien aus dem Gang zu kommen, der zur ehemaligen Restesammelstelle führte.

Na klar, dort musste also die geheime Tür sein, durch die alle verschwunden waren.

Nun ging alles sehr schnell. JW00 hetzte bis ans Ende. Hier war der pulsierende Rhythmus noch deutlicher zu hören, begleitet von weiteren Geräuschen.

Der Mechanismus der Drehtür, die an Stelle der Mauer eingesetzt worden war, ließ sich leicht mit dem Universaldekoder bedienen und JW00 schlüpfte hindurch.

Nun folgte JW00 einfach dem lauter werdenden Sound und nach zwei weiteren Abzweigungen stand er in der ehemaligen Sammelstelle. Hier war er an der Quelle des Lärms angelangt, die eindeutig ursächlich mit seinem Bruder zusammenhing.

 

Der stand nämlich auf einem kleinen, spärlich beleuchteten, Podest und hämmerte auf die Saiten einer Elektrogitarre ein. Leider war er nicht allein, JW00 sah eine komplette Rockband vor sich. Zwei weitere Typen traktierten Bass und Schlagzeug, was wohl hauptsächlich für die Vibrationen verantwortlich waren. Zwei Frauen gehörten ebenfalls zu Besetzung der hier agierenden illegalen Rockband. Eine bediente das Keyboard und die andere schrie mit heiserer Stimme etwas in ein Mikrophon.

Die anderen Schwarmmitglieder waren vor dem Bühnenpodest versammelt. Manche führten eine Art stampfenden Tanzes auf, der wohl aus der Vorzeit stammen musste, so archaisch wirkte die Szene auf JW00.

Das Schlimmste was er sich ansehen musste, waren jedoch die Verstärker: Ein ausgewachsenes Gitarrenstack, bestehend aus Topteil und Lautsprecherbox, ein weiteres Stack für den Bass. Rechts und links der Bühne waren zusätzliche Lautsprecher aufgetürmt, angetrieben durch diverse Energie saugende Verstärker. Daneben stand ein Verteiler, von dem eine Leitung zu einer Art selbst gebastelter Brennstoffzelle im hinteren Teil des Raumes führte.

JW00 addierte die Liste der sich darbietenden Vergehen in Gedanken auf und blickte hinüber zu seinem Bruder, auf den wohl lebenslanges Straflager warten würde.

Unbeeindruckt davon setzte dieser zu einem brachialen Gitarrensolo an, das die versammelten Fans zum Toben brachte. Dabei stand er still wie eine Statue mit völlig entrücktem Blick nach Nirgendwo. Als das Solo nach mehreren Minuten mit einem lang gezogenen Ton endete, nahm die Sängerin diesen auf und ließ ihn fließend in den Refrain des Songs übergehen:

„ Rock`n Roll will never…
Rock`n Roll will never…
Rock`n Roll will never…
Rock`n Roll will never – die!“

 

 

 

Ende

 

Ein paar der seltsamen Leitungen schienen erst kürzlich angebracht worden zu sein – das war aber nichts, über das er nachdenken sollte.

Earth 3.0 – Teil 3

Lies zum besseren Verständnis zuerst Teil 1 und Teil 2!

JW00 war ein Energieinspektor der Ökodekade II. Die beiden Nullen hinter seinen Initialen wiesen darauf hin, dass er schon in der Vorzeit, also vor dem großen Öl-Desaster, auf dieser Welt existiert hatte. Das Leben der Vorzeit war gekennzeichnet von ungebremstem ökologischen Raubbau. Die unwissenden Vorfahren hatten angenommen, dass die Schätze der Erde ausschließlich für sie da seien.
Einige wenige ahnten zwar, dass dies ein fataler Trugschluss war, doch ihre Mahnungen blieben ohne Wirkung. Zu groß war die Macht der Konzerne, zu unbedeutend letztendlich der Widerstand. Das Ende war also vorprogrammiert, kam allerdings viel schneller als erwartet. Der Nordpol begann in viel rasanterem Tempo zu schmelzen als es die Wissenschaftler berechnet hatten. Und dann begannen die finalen Ölkriege.

Die immer noch zahlreichen Überlebenden mussten nun eine immense Anpassungsleistung erbringen. Der Umzug unter die Erde und unter die vor dem UV-Licht schützende Oberfläche der sich ausbreitenden Ozeane war körperlich und psychisch nur schwer zu verkraften. Die erste Regierung der weltweiten Ökoföderation ließ daher, in einem mit unbeschreiblichen Aufwand verbundenem Akt der Massenhypnose, alle Erinnerungen an das Leben an der Oberfläche, das nicht nur wegen der ungebremsten UV-Strahlung nicht mehr möglich war, löschen.

Alles Wissen über die Vorzeit, das JW00 also mit sich trug, hatte er in seiner Studienzeit der Katastrophenlehre erworben, das im Wesentlichen auf den Lehren des großen Thomas Berry (Thomas Berry bei Wikipedia) beruhte. JW00 hatte schließlich das Studium nicht abgeschlossen, merkte aber immer wieder, wie schon die wenigen Semester ihm dabei halfen, die vielen rigiden Gesetze zu verstehen, die zum Überleben nötig waren und die er als Energieinspektor durchzusetzen hatte. 

Also runter in die Katakomben zu den riesigen Akkus. Um die Tür zur Service-Treppe zu öffnen, musste er seinen Universaldekoder nicht benutzen; es reichte der normale Standarddekoder, denn die Katakomben waren für Energieinspektoren frei zugänglich.
Leises elektrisches Summen und ein vibrierender Boden begrüßten ihn und lösten das Glücksgefühl aus, das die Nähe großer Energiemengen den Menschen in der Ökodekade II verschaffte.

Anhand des Serviceplans, den der Wächter ihm gegeben hatte, fand er schnell die beiden Energietanks, die den Alarm ausgelöst hatten. Nach dem, was oben gestrampelt worden war, müssten sie eigentlich randvoll sein, dachte JW00, doch die blinkende Warnanzeige log ganz bestimmt nicht. Ein Drittel unter dem Soll, bei voller Ladetätigkeit!
Er loggte sich ein und startete das Testprogramm. Nach wenigen Sekunden kam die Bestätigung: Die Akkus waren völlig intakt, aber irgendetwas, oder besser: irgendwer, hatte ihnen eine Menge Energie abgezweigt.

 

RW00 lag zufrieden und erschöpft und dabei gleichzeitig irgendwie aufgedreht auf seinem Sofa. Er hatte einen langen Tag hinter sich, den er in der Tretmühle begonnen und an seiner Arbeitsstelle in den Algenplantagen fortgesetzt hatte. Das war seine immerwährende tägliche Routine, doch der Unterschied war, dass er den heutigen Tag mit einem emotionalen Höhepunkt beendet hatte, der ihm ein immer noch anhaltendes Glücksgefühl bescherte. Dieses Glücksgefühl würde er nun bis zum Einschlafen auskosten.

Er hielt die Augen geschlossen und genoß das Klingen in seinen Ohren, als wäre es eine psychodelische Droge aus der Vorzeit. RW00 wäre bestimmt glücklich und zufrieden in den Schlaf geglitten, doch das unüberhörbare Quäken der Türglocke, begleitet von lautem Hämmern, verhinderte dies, sehr zu seinem Leidwesen.

Wird aber Zeit, dass du aufmachst, ich war drauf und dran die Tür aufzubrechen“ mit diesen freundlichen Worten betrat JW00 die Wabe. „Nachdem ihr jetzt eh alle aufgeflogen seid, will ich von dir nur noch ein lückenloses Geständnis, bevor du ins Straflager an die Oberfläche wanderst“
„Jetzt mach erstmal langsam, lass dich in den Sessel fallen und ich mach dir ein Vitaminwasser warm“, antwortete RW00 völlig unbeeindruckt. „Bist du eigentlich dienstlich hier oder privat?“

Beides“ presste JW00 ärgerlich hervor, ließ sich aber dennoch wie befohlen auf dem Sessel nieder. „Wie erklärst du mir, dass du dich plötzlich zum Energie-Supererzeuger entwickelt hast, einen großen Teil deiner Freizeit in den Tretmühlen verbringst, lange nach Dienstschluss nach Hause kommst und mit dir fast die ganze Etage deiner Wohneinheit?“
„Gar nicht“ kam prompt die lakonische Antwort, „was geht dich das an, was ich in meiner spärlichen Freizeit mache?“
JW00 wurde langsam wütend: „Vielleicht geht es mich aber etwas an, dass die Energietanks eurer Tretmühle halb leer sind, obwohl die saubere Belegschaft dieses Stockwerks und noch ein paar Vögel aus anderen seit Wochen in der Tretmühlen strampeln wie die Verrückten?“
RW00 wurde blass um die Lippen und drehte sich schnell rüber zur Küchenzeile, auf der das Vitaminwasser bereits dampfte.
Der Energieinspektor JW00 kannte seinen Bruder allerdings gut genug um zu wissen, dass er soeben einen Treffer gelandet hatte. RW00 wusste etwas, war vielleicht, ach, was heißt vielleicht, war ganz bestimmt in diese Sache verwickelt.

JW00 sah das glasklar vor seinem geistigen Auge. Allerdings wusste er auch, dass RW00 jetzt freiwillig keine weiteren Informationen mehr herausgeben würde.

To be continued…

 

 

Earth 3.0 – Teil 2

Lies zum besseren Verständnis zuerst Teil 1

 

Der Energieinspektor JW00 war in seinen letzten beiden Dienstjahren mehrfach mit seinen Vorgesetzten aneinander geraten. Seine eigene Interpretation dazu war recht einfach: Machst du Dienst nach Vorschrift, verlangen sie Kreativität und zusätzliche Einsatzbereitschaft, am Besten 24 Stunden am Tag, bist du aber kreativ und hältst dich dabei nicht immer strikt an die Regeln, dann nennen sie das ein Dienstvergehen.
Also hatte sich JW00 angepasst: Diskretes Überschreiten der Regeln und kurze Berichte ohne allzuviele Details über sein Vorgehen, hatten ihm seltsamerweise lobende Worte von Oben eingebracht und es ihm ermöglicht, dass er seit einiger Zeit seine Fälle ungestört von Partnern und neugierigen Fragen der Vorgesetzten auf seine Art und Weise erledigen konnte. Auch in der Ökodekade 2 zählten hauptsächlich die Erfolge, wie sie zu Stande kamen, war zweitrangig!

Der Einsatz seines privaten Universaldekoders war so eine kleine praktische Überschreitung der Regeln, die in keinem seiner Berichte stand. Mit diesem Gerät ließen sich fast alle Türen ohne Eintrag in irgendeine der zahlreichen Datenbanken öffnen. Natürlich war das illegal und der Besitz allein schon strafbar aber eben höchst effektiv.
Es war auch nicht ganz einfach gewesen an diesen unregistrierten Prototypen zu gelangen und es hatte JW00 ganz schön was gekostet. Schlimmer war jedoch die Abhängigkeit, die entsteht, wenn jemandem einem Energieinspektor einen Gefallen tut. Doch das ist eine andere Geschichte, an die JW00 jetzt überhaupt nicht denken wollte. Denn er hasste nichts mehr als diese Abhängigkeit.

 

Bevor er nun daran ging, die Tretmühlen am Ende des Ganges zu inspizieren, erlaubte er sich einen kleinen Abstecher in die automatische Schaltzentrale der Wohnanlage. Außer dem Wartungspersonal hatten Menschen hier normalerweise nichts zu suchen, es sei denn sie besaßen einen passenden Dekoder und suchten nach etwas.

JW00 steuerte zielstrebig auf das Bedienfeld zu. Mit wenigen geübten Eingaben hatte er, was er brauchte. Vor ihm erschien die Übersicht, die anzeigte welche der Bewohner sich gerade in ihrer Wohnwabe aufhielten und welche nicht. Sein geschätzter Herr Bruder war natürlich nicht in seiner versifften Höhle, obwohl er seinen Dienst auf der Algenplantage sicher schon längst beendet hatte. Der pünktliche Feierabend war das einzige Zuverlässige und sicher Vorhersehbare an RW00 – zumindest aus der Sicht von JW00.

Warum allerdings in den oberen Etagen die meisten Vögel ausgeflogen waren, während weiter unten scheinbar alle brav im Nest saßen und ihre privaten Eier ausbrüteten, das kam ihm statistisch betracht schon ziemlich ungewöhnlich vor.


„Na, wir werden ja sehen was das zu bedeuten hat“, dachte JW00 und schaltete weiter zur Belegungsliste der Tretmühle.
Dort war offensichtlich keiner aus den oberen Wohnwaben anzutreffen aber andererseits, es gab auch keine gespeicherten Fehlzeiten. Alle hatten anscheinend brav ihre Pflichten erfüllt!
Das wies wiederum stark auf einen, der wirklich selten gewordenen, technischen Defekte hin und JW00 würde nun ganz tief in die Katakomben steigen müssen um dies zu überprüfen.

Gerade als er sich aus dem System ausloggen wollte, fiel ihm aber noch etwas auf. Sein Bruder hatte scheinbar eine massive Persönlichkeitsveränderung durchgemacht, oder wie sonst ließ es sich erklären, dass er laut Datenbankeintrag fast einen ganzen Monat im voraus gestrampelt hatte. Soviel Zeit in der Tretmühle grenzte ja schon fast an ein Fitnessprogramm. Das war wiederum so untypisch für seinen Bruder, dass er der Sache ein bisschen Aufmerksamkeit widmen wollte. Er würde den Anstandsbesuch ganz einfach als Dienstzeit abrechnen und damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen!
Statistisch waren die Bewohner der oberen Etagen offensichtlich die besseren Einspeiser, wie die Tabelle deutlich machte – und wie JW00 vermutete hatte das nichts mit der Nähe der Waben zur Erdoberfläche zu tun – ganz gewiss nicht.
Auf der anderen Seite war dieses Verhalten keineswegs illegal. Im Gegenteil, es war sogar gesellschaftlich erwünscht, erhöhte es doch den so dringend benötigten Vorrat an Energie.

Die flächendeckende Einführung der Tretmühlen hatte einige erwähnenswerte gesellschaftliche Verbesserungen zur Folge, zum Beispiel war die allgemeine Krankheitsrate deutlich gesunken. Die Rate der Herzinfarkte war sogar um mehr als die Hälfte gesunken. Die tägliche Stunde Volkssport sorgte für größere körperliche Leistungsfähigkeit der gesamten Bevölkerung und sparte enorme Kosten im Gesundheitswesen. Das war mehr als nur ein positiver Nebeneffekt.
Nahm man noch die Verwertung des Schwitzwassers mit auf die Rechnung, dann ergab das eine wunderbare Ökobilanz für die Tretmühlen. Aber was zum Teufel hatte das mit seinem Bruder RW00 zu tun?

 Stimmen draußen auf dem Flur ließen ihn aufhorchen, offenbar waren eine ganze Menge Leute gleichzeitig mit ihrem Fitnessprogramm im Energieerzeugungsraum fertig und liefen nun im Gang zurück zum Treppenhaus um dann in ihre Waben zurückzukehren oder sonstwohin zu gehen.

 JW00 blieb unsichtbar für die Ökobürger im Schaltraum verborgen und ließ den Pulk der hörbar gut gelaunten Bewohner vorbeiziehen. Dann aktivierte er nochmal die Anzeige der oberen Etagen. Sein Verdacht, dass da etwas nicht stimmte, so unbestimmt er auch gewesen sein mochte, bestätigte sich, denn Wabe für Wabe sprang die Anzeige um und über 50 Bewohner waren nun nachweislich wieder in ihren Wohnstätten an zu treffen. Wenig verwunderlich, dass RW00 ebenfalls zu den gut gelaunten Heimkehrern gehörte, die diesmal definitiv nicht aus den Tretmühlen gekommen waren.
Jetzt war JW00 mehr als gespannt darauf, was sein älteres, besserwisserisches Brüderlein denn zur Klärung des Phänomens beitragen würde. Schließlich roch hier etwas ziemlich faul, oberfaul sogar!

To be continued…


Der dritte und vorletzte Teil wird dann veröffentlicht, wenn 5 unterschiedliche Personen es sich, in einem hier abzugebenden Kommentar, ausdrücklich wünschen!!
Renaldo, am Samstag, 15.09.2012

Earth 3.0 – Teil 1

Das Signal auf dem Display musste wohl schon eine Weile geblinkt haben, bis der Wächter es endlich entdeckte. Kein Wunder, bei der Menge an zu überwachenden Signalen und der allgegenwärtigen Müdigkeit, die ihn in dieser Schicht nun schon mehrfach übermannt hatte. Doch nun musste schnell gehandelt werden, um größeren Schaden und vor Allem größere Aufmerksamkeit der Vorgesetzten zu verhindern. Außerdem hatte es noch nie einen Fehlalarm gegeben. Der Wächter drückte ohne weitere Verzögerung den Alarmknopf.

 

Normalerweise arbeiten die Energieinspektoren grundsätzlich zu zweit, doch zu dieser Tageszeit war JW00 der einzige Inspektor weit und breit und außerdem wollte keiner der anderen 16 Inspektoren eine Schicht mit ihm teilen. Einige hatten einmal versucht gemeinsam Dienst mit ihm zu schieben, doch JW00s charakterliche Eigenarten, eine gewisse Schrulligkeit, gepaart mit einer unerträglichen Wortkargheit und gelegentlich dem extremen Gegenteil, machten alle Versuche der Aufsichtsbehörde zunichte, einen passenden Partner für ihn zu finden.

So rückte sich JW00 seine Nickelbrille zu recht und trabte in den Kontrollraum, wo er schweigend in der Tür stehen blieb.
„Energieverlust im Sektor 3212, dort verlieren gleich drei der Reserveakkus Saft und mit der Einspeisung sind sie auch hinterher, übernimmst du?“
JW00 nickte nur und schlurfte in Richtung Fahrradpark davon, wo er sich ein Einsatzfahrzeug holen würde.

Das hatte ihm gerade noch gefehlt: “Einspeisungsrückstand“. Eine der häufigsten und nervigsten Problemfälle für die Energieinspektoren. Zum Glück schafften es die meisten Menschen, ihre tägliche Stunde der Stromerzeugung, in den „Tretmühlen“ genannten Aufladestationen, die in jedem Keller der Wohnanlagen zu finden waren, abzuleisten. Aber eben nicht alle. Da wurde es dann schnell persönlich und man musste sich die abenteuerlichsten Entschuldigungen und Ausflüchte anhören, mit denen die Menschen ihre Energieschuld erklärten, bevor sie meistens dann doch bestraft werden mussten.

 

Ach, wie sich doch die Welt verändert hat in den kurzen 18 Jahren nach dem Ende der „Vorzeit“, dachte JW00, der einige Semester Katastrophenlehre studiert hatte, bevor er, wohl aus mangelnder Inspiration, dann doch Energieinspektor geworden war und zwar wider Erwarten einer der besten seines Berufsstandes.

 

Allerdings konnten sich nur noch wenige Überlebende wirklich daran erinnern, wie das Leben vor dem völligen Abschmelzen der Gletscher und der Pole und vor allem vor den überraschend plötzlich ausgebrochenen aber sehr kurzen und effizienten Ölkriegen gewesen war. Das Problem der Überbevölkerung hatte sich dadurch für eine gewisse Zeit erledigt, genauso, wie die Ölvorräte der Erde. Verbrannt, gesprengt sogar mit furchtbarerem Schaden für die Umwelt, als während der friedlichen Zeit, die so friedlich ja auch nicht gewesen ist: Siehe 1. Semester Katastrophenlehre!

 

Was allerdings in der friedlichen Vorzeit angenommen worden ist, dass nämlich die Menschheit nach dem großen Knall wieder bei Null anfangen müsste, war längst widerlegt.
Die vorhandene Technik wurde in vielen Bereichen erfolgreich angepasst, von der intelligenten Stromerzeugung durch Sonnenenergie und Wind, der effektiven Speicherung in Brennstoffzellen der Xten Generation, bis hin zur hocheffizienten Meerwasserentsalzung und Kondenswassererzeugung. Alles Technologien, die ständig weiterentwickelt wurden und das Überleben gesichert hatten.

 

Nur leider war das alles eben doch nicht genug, um all die stromfressenden Überlebensanlagen mit Energie versorgen zu können. So kam es, dass jeder Bürger seinen Beitrag leisten musste, zusätzlich zu seinen öko-beruflichen Aufgaben.

Dieser Beitrag musste täglich in eben jenen erwähnten Tretmühlen, mit denen jede Wohnanlage ausgestattet war, geleistet werden. Dort sitzen oder liegen die Menschen an heimtrainerartigen Geräten und erzeugen Energie, durch Strampeln oder Kurbeln, und zwar ausnahmslos Jeder und Jede, ob Mitglied der Föderationsregierung oder einfache Arbeitsbiene.

Das Verfahren war technisch so ausgereift, dass sich so jede Wohneinheit, mit immerhin im Schnitt 200 Menschen, energetisch selbst versorgen konnte und darüber hinaus Energie ins Netz einspeiste.

 

Während er über den ständigen Wandel der Zeiten nachdachte, hing JW00 bereits in einem der Förderbänder, die unterirdisch den Radfahrern ein schnelleres Vorankommen ermöglichten. An der Abzweigung zum Sektor 3212 ließ er die flexible Halterung los und rollte geräuschlos in den Nebentunnel.

Da 3212 der Sektor war, in dem sein missratener Halbbruder RW00 lebte, beschloss JW00 heute früher Feierabend zu machen, wenn es der aktuelle Fall denn zuließe, um den längst fälligen Anstandsbesuch zu machen – und Berichte konnten auch am nächsten Tag noch verfasst werden.

 

So ein Verhalten konnte sich in der Ökodekade 2 eigentlich niemand mehr erlauben – einer der wenigen Vorzüge des Berufes der Energieinspektoren. JW00 grinste still vor sich hin, denn es gab noch einen zweiten Vorteil, den dieser Job allen anderen Voraus hatte.
Mit seinem Universaldekoder öffnete er den Eingang zum Kontrollraum der Wohnanlage, entschlossen, dem lokalen Problem, schnell und effektiv auf den Grund zu gehen.

To be continued…

Der zweite Teil folgt, wenn sich drei LeserInnen finden, die es sich in einem hier abgegeben Kommentar wünschen!

Reif für den Reisebericht?

Nun muss ich mich wohl doch einreihen? Einreihen in die endlos lange Schlange der Verfasser von Reiseberichten, die derzeit, den Ferien und den Urlauben sei es gedankt oder geschuldet, allenthalben und überall in Wort und Bild die Aussicht versperren.
Die Aussicht auf was eigentlich? Auf den Haufen unbearbeiteter Papiere auf meinem Schreibtisch, auf meinen Outlook-Terminkalender, der scheinbar endlos, unglaublich wichtige Besprechungstermine, mit meinem smarten Phone synchronisiert?
Gibt es nicht noch andere Dinge, auf die zu blicken sich lohnt? Na, ist sowieso und eh egal, denn Urlaub und Verreisen sind doch wohl eher Dinge, die Paranoiker tun, weil sie sich im Alltag nicht zu Recht finden, kaum Freunde haben und  die reale Welt der Kontakte und Beziehungen lieber hinter sich lassen um subjektive Blicke auf Dönerstände und vermooste Steine am Straßenrand zu werfen. Die Schönheit eines Kreisverkehrs in der Großstadt zu besingen und dann in eine endlosen Ode über zu gehen über eine Stadt, die von Autos zugestopft ist und stinkt und im Übrigen aus lauter Baustellen besteht – nein, das ist nicht mein Ding!

Ich bin lieber der notorische Nörgler, der urlaubsreif am Arbeitsplatz verharrt und von dort aus seine Galle verspritzt! Tief innen drin bin ich möglicherweise aber doch einfach bloß neidisch, auf all die schönen Fotos und witzigen, weil eben subjektiven, Beobachtungen, einer (eben nicht) Alltagswelt. Eben auf das, was erst den Blick und das kindliche Staunen ermöglicht, das mir schon längst abhanden gekommen ist.
Verdammt, ich will auch einen Reisebericht schreiben!!!!!

Antikrisenimpressionennachtrag, oder Sanssouci…

Der Paranoiker macht am gefühlt heißesten Tag des Jahres auf der Heimfahrt von Berlin einen kleinen Abstecher nach Potsdam – nachdem sich das Navi mehrfach verschluckt hat, ist er mitten in der Stadt und bekommt dadurch eine kleine Rundfahrt gratis, obwohl er doch eigentlich schnurstracks zum Park wollte… sei’s drum: Brandenburger Tor, holländisches Viertel etc. lassen sich, bedingt durch zäh fließenden Verkehr, wunderbar gebührend bestaunen.

Doch dann, endlich: Sanssouci! Und Sanssouci ist teuer! Parken kostet ein kleines Vermögen (selbst schuld… wozu gibt’s öffentliche Verkehrsmittel!), die Besichtigung des Schlosses kostet dann noch mal 12 Euro – dafür wird man aber immerhin innerhalb einer halben Stunde per Audioguide durch die Räumlichkeiten gescheucht. Der Park hingegen kostet: nichts! Am Eingang wird der Paranoiker von einer nicht nur gutaussehenden, sondern auch überaus charmanten Dame begrüßt, die um einen freiwilligen Obulus bittet, den der Paranoiker ob dieser Umstände natürlich gerne gewährt. Im Schloß gilt es Seidentapeten und Gemälde zu bestaunen sowie Gästezimmer und Schlafnischen zu betrachten – viel spannender ist es allerdings, die Mitbesichtiger zu beobachten – etliche haben anscheinend ihre drei Euro Photographiererlaubnis bezahlt und knipsen wild vor sich hin, während sie den akustischen Ausführungen in allerlei Sprachen lauschen… der Paranoiker zumindest strömt dem Ausgang etwas enttäuscht entgegen. Dort wartet ein netter Aufseher, der die Abgabe der Audioguides überwacht, den der Paranoiker, ganz auf die praktischen Probleme des Lebens fixiert, denn auch gleich fragt, wo denn hier im Schloß eigentlich die Toiletten seien. ‚ Na, raus aus’m Schloß und links über die Straße’ lautet die Antwort. Nein, nicht für die Touris, sondern die für die ehemaligen Bewohner jenes Monumentes. ‚Kam det nich vor im Audijogeid? Na, die hatten keene Toiletten, nur Puderzimmer (das erzählt jener Herr hoffentlich nie einem Österreicher… gnnn…)… Det ham die dann allet im Park entsorcht…‚ Na, Mahlzeit! Jener Feingeist Friedrich der Große – Französisch palieren, ne tolle Bibliothek haben (die ist echt sehenswert!), alle Geistesgrößen seiner Zeit zu sich laden, Querflöte spielen, aber sich nicht waschen…? ‚Det war halt so, Toiletten und n Bad wurden erst knapp 100 Jahre später einjebaut. Die ham wohl fünf Meter jegen’n Wind jestunken, damals. Detwejen sacht man ja och ‚Adel stinkt’ oder ‚Jeld stinkt’.’Da hört dann die Authentizität dann allerdings auf, denn der ‚Friedrich’ in vollem Kostüm, der am Parkeingang die Querflöte malträtiert, verströmt glücklicherweise keinen auffälligen Geruch. Dafür ist da wieder jene charmante Dame, die dem orientierungslosen Paranoiker einen Parkplan vermacht und ihn auch noch mit Wegvorschläge versorgt. Eine nette Nebenannekdote liefert noch der Blick bergan, denn dort thront am höchsten Punkt eine Ruine, die schon als solche vom Bauherren geplant worden war (anscheinend der letzte Schrei zu jener Zeit) – diese Ruine liefert zwei nette Stichworte: zum einen war und ist dort das Wasserreservoir, aus dem die Springbrunnen auf der anderen Schloßseite betrieben wurden und werden (kein Wasser zum Waschen, aber Springbrunnen sprudeln lassen…tss), zum anderen wird die Ruine gerade renoviert (dies übrigens eine ganz und gar trockene Bemerkung eines Mitbesichtigers, der sich der Ironie offensichtlich nicht bewußt war…).

Der Park lohnt sich – auch hier vermißt der Paranoiker allerdings schmerzlich ein Fahrrad, mit dem sich andere Besucher in der brütenden Mittagshitze leichträdrig bewegen…  Wuchtige Baukunst vereint sich mit Weitläufigkeit – eine immer noch genutzte beeindruckende Windmühle (würde natürlich wieder Eintritt kosten) leitet über zu einer gigantischen Orangerie (kostete natürlich wieder extra Eintritt) – hier vergnügte sich also die damalige high society, während das Volk darbte und in den Krieg ziehen durfte… sans souci… ‚ohne Sorgen’… die Springbrunnen sprudeln, die Feigen gedeihen, die Sonne scheint herab auf die Goldpracht eines chinesischen Teehauses… nun, vielleicht geht der Sozi mit dem Paranoiker durch, aber so richtig erfreuen mag er sich nicht mehr an all der Pracht, und auf eine Ausstellung über den ‚Fritz’ im Neuen Palais hat er auch keine Lust mehr…

Im Park sitzt eine junge Mutter mit einem in Windeln gewandeten Kinde, welches, des Paranoikers angesichtig, den Zeigefinger gegen jenen ausrichtet und laut ‚Papa’ kräht – der Paranoiker stutz, der Schweiß bricht ihm aus (liegt es an der Hitze?) – ‚Äh, kann ich mich da an was nicht erinnern?’ ‚Nee’, grinst die Mutter, ‚ sein Vater is’ nur ooch so dunkel!’ Puh, Glück gehabt…

Apropos ‚dunkel’: dunkel und dankbar erinnert sich der Paranoiker der Ortsangabe der Toiletten und gönnt sich anschließend noch ein Eis, bevor er sich, vorbei an der inzwischen beeindruckend langen Schlange vor dem Kartenverkauf (det ham’se ja alle schon üben können, wenn se vorher in Berlin war’n…), auf den Weg macht, der ihn, ob seines Navis mit offensichtlichem Schluckauf, wieder quer durch Potsdams Nebenstraßen führt – oder lag es doch an der Hitze und dem dräuenden Gewitter? Egal…

Sanssouci 1Sanssouci 2

Orangerie 1Orangerie 2

Orangerie 3Orangerie 4

Antikrisenimpressionen, oder: Berlin, die dritte…

Der Paranoiker sitzt in der Oranienburgerstraße in (bzw. vor) seinem ‚Stamminder’ (kann er inzwischen wirklich behaupten, war er doch bei drei aufeinander folgenden Berlin-Besuchen hier) und wartet auf sein Essen, am Tisch nebenan ein schwules und ein Hetero-Pärchen, alle vier ziemlich rausgeputzt… ‚Hab ich euch det schon erzählt? Neulich anne Ampel, da is hinter mir so’n Drängler, weeste, da is die Ampel g’rade mal auf gelb, da hupt der schon, und denne bei grün schon wieder – da hab ick mir jedacht, na warte, dich krieg ick: Ick raus, macht der det Fentster runter, sag ick: Hupe jeht noch, jetzt mach ma’ Blinker!’. Die Reaktion der Frau ist eindeutig: ‚Hä, versteh ick nüscht!’ ‚Na, ‚Hupe jeht noch, jetzt mach ma’ Blinker’, verstehste? Jetzt mach ma’ Blinker, weil Hupe jeht noch…’ So geht das dann die nächsten Minuten weiter, und der Paranoiker ist zwar um einen neuen guten Spruch froh, aber ansonsten bald jenervt.

Gibt es eigentlich irgendetwas, was es in Berlin nicht gibt, im Guten wie im Schlechten? Hier ein Beispiel für ‚ìm Guten’: Direkt neben dem Hotel entdeckt der Paranoiker im Halbparterre einen Kleinen Laden, der seine Aufmerksamkeit fesselt.

Senfsalon
Senf in allen Variationen und Spielarten – kann so ein Laden denn gehen? Die Besitzerin schmunzelt ob dieser Frage; den Laden gäbe es nun schon seit ein paar Jahren, und verkaufen würden sie weltweit über das Internet, sie seien da schon so ein wenig berühmt. Toll!

Berlin von oben! Den Paranoiker zieht es immer wieder hinauf auf Türme und Kuppeln, was vielleicht daran liegt, daß er Berlin bei seinem ersten Besuch nur von unten und noch mit jenem Bauwerk erlebt, das zu errichten niemand die Absicht hatte – die einzige ‚hohe’ Aussicht, die er damals, knapp ein halbes Jahr, bevor dieses Bau-Schandwerk im wahrsten Sinne des Wortes überwunden wurde, hatte, war von einer der Plattformen, von denen aus man über den Todesstreifen hinweg zu den Grenzern schauen konnte, die einen mit Ferngläsern beobachteten, wohl immer in der Angst, man könnte vom Westen genug haben und in ihr antifaschistisches, antikapitalistisches und sozialistisches Idyll einbrechen und dieses unterminieren. Welche Wohltat, am Brandenburger Tor zu schlendern und die ‚Remineszens’ an die Mauer erst wieder suchen zu müssen, jenen Steinstreifen, der so unscheinbar in der Straße verläuft.

'Mauerreste'

Und umso befreiter der Blick, z.B auch vom Dom, da zum Teufelsberg, wo die Abhöreinrichtungen der Amis herübergrüßen, da zum Alexanderplatz, wo der Fernsehturm im Sonnenlicht sein Licht-Kreuz auf der Kugel trägt, rüber wieder zum Funkturm, dann zum Potsdammer Platz, jenem Brachland, das der Paranoiker vor ein paar Jahren nicht mehr wiedererkennen konnte (und wollte) – Berlin, du tolle Stadt, ja: du Schöne!

Auch dieser Besuch geht zu Ende… der Paranoiker geht zur Anmeldung, will seine Hotelrechnung begleichen. ‚Na, se ham ja noch ne schöne Ecke vor sich – aus welcher Ecke von Regensburg komm’se denn?‘ Äh, wieso? ‚Na, in unserm Alter, da fährt man ja nich mehr so jerne so lange Strecken, und wenn wir nach Italien runter machen, dann halten wa immer uf halber Strecke in Regensburg‘. Also fahren die Regensburger nach Berlin und die Berliner auf Regensburg? ‚Na, so sollet doch sein, oder?‘ Ja, so soll es sein!

Brandenburger Tor am Abend

 

4. Teil der Trilogie

Antikrisenimpressionen, oder: Berlin, die zwohte…

Berlin ist eine Baustelle! Überall wird gewerkelt, ragen Kräne in den Himmel, stehen Gerüste und Baucontainer, rattern Bohrer und Preßlufthämmer. Die halbe Museumsinsel ist umstellt mit tösendem Gerät, welches das Spreewasser abpumpt und umleitet – diese ganzen riesigen Gebäude, alle auf Pfählen ruhend in sumpfigem Grund – da wird einem richtig mulmig!

Museumsinselbaustellenimpression

Dummerweise wird auch in der Friedrichsstraße gebuddelt – und natürlich genau dort ein neues U-Bahn-Kreuz gebaut, wo der Paranoiker mehrmals am Tag passieren muß. Demzufolge kann er eine Station U-Bahn fahren, dann auf den Pendelzug warten, der ihn wieder drei Stationen weiterbringt, dann 500 Meter zu Fuß gehen, um dann wieder unter die Erde zu klettern, oder sich ‚jetzt ist doch eh schon wurscht’ zu denken und sich die Füße weiter platt zu laufen. Der kleine Zwangsausflug in die Einkaufsmeile Friedrichsstraße führt aber wenigstens eine skurrile Absurdität vor Augen: Bis auf das übliche Klientel (H&M und Konsorten) konnten sich nämlich kaum Warenhäuser, ganz zu schweigen von kleinen Läden, in den riesigen Gebäuden halten, weshalb in den Schaufenstern jetzt Autos (sic!) stehen – tja, sämtliche Automarken scheinen eingezogen zu sein, und in den Verkaufsräumen ist auch ganz schön was los! Vielleicht ist das aber auch die Gegenreaktion auf den Stillstand des Autoverkehrs rund um die Baustelle. Und dann gibt es da noch den großen Platz, an dem einst der Palazzo prozzo stand, bevor er Asbestverseuchungs-bedingt abgerissen wurde, und wo jetzt ein neuer Palazzo prozzo entstehen soll: das humboldtforumsche Stadtschloßimitat. Der Paranoiker kann nur hoffen, daß es ähnlich läuft wie beim Holocaust-Mahnmal, wo auch jahrelang diskutiert und umdisponiert wurde, um am Ende etwas zu bauen, was ihn zutiefst berührt und beeindruckt – vielleicht wird es bei diesem Projekt ja ein vergleichbar gutes Ende haben… wobei an einem Eck der Wiese ein Auschnitt der Fassade in Originalgröße aufgebaut nichts Gutes ahnen lässt…

Stadtschloßimitatteilansichtsimpression

Berlin ist groß! Da muß man erst mal von einem Ort zum nächsten kommen. Der Paranoiker vermißt ein Fahrrad, mit dem er sich einigermaßen vernünftig fortbewegen könnte, denn alles andere… Auto fällt flach, denn Berlin scheint nicht nur die ‚rote Welle‘ erfunden zu haben, auch gibt es mindestens zehn mal mehr Fahrzeuge als Parkraum, und Berlin ist (s.o.) eine Baustelle. Also lieber die Nuckelpinne in der glücklich eroberten Parkbucht stehen lassen. U-Bahn und S-Bahn sind schon schön, aber oft sind die Verbindungswege ganz schön lang. Also per pedes. Gleich nach der Ankunft macht sich der Paranoiker brav auf ans Brandenburger Tor, und blickt zur Siegessäule: komisch, da war er noch nie. Auf dem Weg dorthin wird ihm auch klar warum: der Weg zieht sich! Und dann wollen noch die 285 Stufen bezwungen sein, doch das lohnt sich (siehe Teil 1)! Aber irgendwie muß man ja auch wieder zurück, und Busse scheinen nicht zu fahren. Und so geht das weiter bis die Füße kochen. Nun, mit Sicherheit kann man mit etwas mehr Orientierungsbewußtsein und dem Willen und der Befähigung zum Studium des Planes des öffentlichen Nahverkehrs den ein oder anderen Weg einsparen, aber der Paranoiker latscht halt auf gut Glück los. Besonders wird ihm die Unsinnigkeit enes derartigen Verhaltens klar, als er endlich(!) bei brütender Hitze im Botanischen Garten ankommt; erst die falsche S-Bahn erwischt und sich nichts gedacht bei den fremd klingenden Stationsnamen, dann nur mit Mühe doch noch die richtige S-Bahn erwischt, um dann noch eine Viertelstunde Fußmarsch durch eine allerdings sehr beschauliche Wohngegend zu absolvieren… und dann meint die schon etwas ältere Dame, die schön im kühlen Schatten ihres Kassenhäuschens sitzt, auf den ‚na, zu euch isses ja ne halbe Weltreise’ Kommentar des Paranoikers nur lapidar: ‚ja, hammse sich denn nich vorher im Internet informiert??’. Tja… Das wär vielleicht eine Option für die Zukunft. Aber noch beschränkt sich der Paranoiker darauf, seinen Reiseführer zu Rate zu ziehen und im Papier zu googeln… und, siehe da: da steht sogar, welcher Bus ihm wenigstens auf der Rückfahrt ein paar Meter zu Fuß spart. Glück jehabt, wah!

Apropos Internet: Berlin ist modern! Zumindest manchmal… Das zeigt sich schon, wenn der Paranoiker zum Frühstück erscheint: Da sitzt dann ein gutes Dutzend Amis, und jeder von denen hat einen Laptop vor sich stehen und ein Smartphone neben sich liegen und ist am klicken, wischen und sonst was machen! Wow! Bei der koreanischen Familie hat nur der kleine Junge sein iPad in der Hand, doch die beiden Spanierinnen am Nebentisch wälzen wie der Paranoiker den analogen Stadtplan, während das ältere deutsche Ehepaar ganz abgeklärt mit der Berliner Zeitung Vorlieb nimmt. Da fragt man sich doch unwillkürlich, was die Amis da die ganze Zeit treiben! Wahrscheinlich chatten sie miteinander; obwohl, sie reden auch! Ah, da zeigt z.B. ein Ami einem anderen Ami Bilder einer Stadt in der Wüste, was diesen offensichtlich schweeeeer interessiert… Nee, dann doch lieber analog weiterwurschteln und sich auf das tolle Berlin konzentrieren… Dabei verpasst man allerdings leider doch auch wieder mabches, z.B. den schon lange ausstehenden Besuch des Reichstages… ‚Nee, hier komm’n’se nur noch mit Anmeldung rein!‚. Anmeldung? Wo denn? ‚Na, im Internet, drei Tage vorher! Is doch schon seit letztem Jahr so!!!‘ Na denn, vielen Dank! Ist der Reiseführer mit seinen zwei Jahren wohl schon in die sellbigen gekommen. Aber zurück zu modern: Schwer beeindruckt ist der Paranoiker im Pergamonmuseum – von dem Museum an sich sowieso (dicke Besuchsempfehlung!), aber besonders angetan haben es ihm die Bildschirme, die am Ende der Sonderausstellung aufgebaut sind und interaktiv ermöglichen, eine Panoramaaufnahme der Ruinen des ehemaligen Pergamons mit einer Rekonstruktion der antiken Stadt zu überlagern. So macht Museum richtig Spaß!

Pergamonaltarimpression

 

 

 

 

 

Und als er, kurz vor Toreschluß, in die Dauerausstellung im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt stolpert, drückt ihm ein netter Angestellter eine CD in die Hand: ‚da könnse sich schon ma‘ ’n Überblick verschaffen, wenn se ‚t nächste Mal kommen‚. Super! Und doch: Auch analog kann Spaß machen und zum Nachforschen anregen! Kaum daheim, liest der Paranoiker (durch puren Zufall!) ein Buch, in dem Echnaton, Nofretete und der Aton-Kult im Mittelpunkt stehen, und das ein paar Tage nach des Paranoikers Besuch der ägyptischen Sammlung! Spannend! Und auch hier gilt: unbedingte Besuchsempfehlung, alleine schon der Nofretete wegen!

Echnaton

Hand-in-Hand

Berlin ist grün! Das merkt man spätestens dann, wenn man eine der zahlreichen Möglichkeiten ergreift, die Stadt von oben zu betrachten, z.B. von der Siegessäule aus oder von der Kuppel des Doms. Anders, als es die Häuserschlucht um die Friedrichstraße oder die Betonwüste um den Alexanderplatz vermuten lassen, erstrecken sich allerorts Parks und Bäume (im Tiergarten gibt es Alleen, die nach den Bäumen benannt sind, die dort ihr Blätterdach über dem Paranoiker ausbreiten – praktisch, da muß sich der Paranoiker nicht beim Bestimmen blamieren, sondern kann selbstbewußt nicken angesichts der Namen und des dazugehörigen Grüns…), und selbst dort, wo die Bebauung dicht ist, steht spätestens im dritten Hinterhof eine alte Linde, so auch bei des Paranoikers Hotel. Und sitzt man abends gemütlich auf sein Abendessen wartend auf dem Trottoir, so fällt, zumindest in Kreuzberg, der Blick auf die zur viel befahrenen Straße hin gelegenen Rabatte, die, teilweise ummauert, teilweise von Miniaturjägerzäunen umkränzt, schier überquellen vor Stauden und Sonnenblumen. Gut, nicht überall ist dies der Fall, aber es ist doch mehr die Regel als die Ausnahme. Und dann sind da noch die Zufallsentdeckungen, die man so beim Schlendern (Euphemismus für ‚sich-gründlich-verfranzen-und-irgendwann-kaum-noch-wissen-wo-man-eigentlich-ist’!) machen kann; so geschah es dem Paranoiker, daß er unvermittelt vor einem ehemaligen Stück Brachland stand und auf einem Schild, das an einem windschiefen Tor hing, ‚Prinzessinnengarten’ las – ein schönes Beispiel ‚urban gardenings’ mitten in Kreuzberg. Da stapeln sich Holz- und Plastikkisten zu Hochbetten auf, Tomaten wuchern in Plastikeimern und –tüten, überall wird fleißig gepflanzt und eingetopft, während unter einem Sonnensegel vor einem kleinen Café Kinder toben. Ein Landbewohner muß natürlich leicht grinsen ob der gärtnerischen Bemühungen, aber so mitten in Berlin wirkt das Ganze wie eine kleine Oase der Gemütlichkeit und Unangepaßtheit – ein Antikrisenort!

Stadtgartenimpressionen 1

Und dann die vielen Brachflächen, mitten in der Stadt, z.B. entlang der S-Bahn, …

Das professionellste Grün ist dann in Dahlem: der botanische Garten! Tolle Gewächshäuser, phantastische Außenanlage – wer behält da den Überblick, wer pflegt und hegt das alles? Den Paranoiker, dem der grüne Daumen selten hold ist, beschleicht Ehrfurcht.

Gewächshaus

Gewächshaus 2

Gewächshaus 3

 

Teil 3

Antikrisenimpressionen, oder: Berlin…

Berlin stinkt! Nach Hundekacke, nach Abgasen, nach Müll… So viel zu ‚Berliner Luft mit ihrem holden Duft’…

Berlin ist dreckig! Penibel zugekotete Bürgersteige, Mülltüten auf den Strassen, Schrottfahrräder an den schiefen Laternen… ach nee, kein Schrott, die werden noch benutzt… na, egal…

Und doch: Berlin ist schön! Nicht schick, nicht modern, nicht vorbildlich, nicht adrett, nein: schön! Und liebenswert! Und dem Paranoiker immer (wieder) eine Reise wert!

Das beweist schon alleine die Tatsache, daß er innert eines Jahres bereits die zweite Berlinliebeserklärung abgibt…  (die erste siehe hier).

Hat sich seitdem etwas, vielleicht sogar viel verändert? Wohl kaum – aber der Paranoiker sieht die Stadt aus anderen Perspektiven, hat er doch diesmal (endlich) keine dienstlichen Verpflichtungen im Nacken und auch etwas mehr Zeit. Und siehe da:

Berlin swingt! War es noch bis vor kurzem üblich, dass in jeder deutschen Großstadt oder denen, die sich dafür hielten, mindestens zwei Trupps Indios in der Tracht, die der Deutsche für landestypisch hält, von grauenhaftem Synthi-Gewaberer untermalt in Panflöten hauchten und einem, unter anderem, auf immer und ewig den Spaß an so manchem Simon & Garfunkel Hit vergällten, so sind mittlerweile osteuropäische Viererkombos auf dem Vormarsch, die, mit Kontrabass, Gitarre, Quetschkommode und Saxophon oder Klarinette bewehrt, vor sich hin jazzen. Alles in allem wäre dies ja eine begrüßenswerte Entwicklung, allerdings schaffen es diese Herren eine dermaßige Geräuschkulisse aufzubauen, dass die Ohren anfangen zu klingeln – ganz besonders bevorzugt sind natürlich Standorte genau vor oder gegenüber gastronomischen Einrichtungen, wo der sonnenhungrige Tourist oder Eingeborene auf dem Trottoir sitzend und seinen Latte oder sein Bier schlabbernd keine Chance hat, der Kakophonie zu entfleuchen, genauso wenig, wie dem salbungsvollen Blick, wenn denn der Hut kreist – gleich am ersten Abend mußte der Paranoiker auf sein wohlverdientes Kölsch in der ‚Ständigen Vertretung’ verzichten, weil das Spreeufer an diesem Tag wohl besonders Musiker-afin gewesen zu sein scheint. Nichtsdestotrotz, es sei angemerkt: qualitativ könnten einige dieser Straßenmusiker locker auf Jazzbühnen Erfolge feiern! Die schönste musikalische Darbietung genoss der Paranoiker allerdings abends auf dem Gendarmenmarkt, wo in beschaulicher Ruhe Hitze und Hektik von Berlin Mitte ausgeschlossen wurden, nicht zuletzt dank des wundervollen Geigenspiels einer begabten Dame.

Berlin ist schwul! Nirgends sonst (außer vielleicht in Amsterdam) hat der Paranoiker bisher so viele schwule Pärchen auf der Strasse gesehen. Berlin hat sogar ein ‚Schwules Museum’. Und wie schräg und andererseits eben dadurch auch auf angenehme Art normal diese Stadt ist, fällt einem gerade dann auf, wenn man so ungebremst aus dem konservativen Bayern einfällt. Und damit einher geht eine andere Eigenschaft der Hauptstadt:

Berlin ist entspannt! Um kurz nach neun Uhr morgens macht sich der Paranoiker auf in Richtung Museumsinsel, als vor ihm aus einer Tür ein junger Mann auf die Straße tritt, sich genüßlich seinen eindrucksvoll großen Joint anzündet, um sich dann neben seine verbollerte Vespa, die, mit einem Kettenschloß an einen Laternenmast gekettet, auf der Seite liegt, zu setzen und sein Kraut zu inhalieren. Überhaupt: Wäre der Paranoiker einmal schlecht drauf gekommen, er hätte nur ab und an tief im Vorübergehen inhalieren müssen, und alles wäre wieder easy gewesen… Berlin ist locker…

Berliner stehen gerne an! Und nicht nur im Osten, wo sie es ja noch von früher gewohnt sein dürften (autsch…!). Nee, direkt um des Paranoikers Ecke gab es beispielsweise einen Stand mit dem schönen Namen ‚Mustafas Gemüsekebap’. Während morgens noch Kopftuch-bewehrte Frauen fleißig besagtes Gemüse kleinschnibbeln, stehen spätestens ab Mittag ungelogen mindestens 50 oder mehr Leute an! Und am Currywurst-Stand daneben auch! Ist das Essen gerade hier so gut? Dem Paranoiker kommen Zweifel, als er an anderen Ständen und Buden vorbeikommt: Det is hier normal! So wird der Tourist gleich auf die langen Schlangen eingestimmt, die er vorfindet, wenn er eine halbe Stunde oder auch später nach Öffnung der Museen auf der Museumsinsel (siehe oben) etwas Kultur genießen will – von daher: entweder früh aufstehen… oder anstehen… oder halt mal an den richtigen Ecken tief durchatmen (siehe oben)…

Berliner sind nett! Jawoll! Kaum zu glauben, aber wahr. Vor etwas mehr als zehn Jahren weilte der Paranoiker in der Metropole, und damals wurde von der BVG, dem Berliner Verkehrsverbund (der trotzdem nicht BVV sondern BVG heißt – wen es interessiert, warum dies so ist, dem sei die Lektüre der ‚Gebrauchsanleitung für Berlin’ anempfohlen, wo auch sonst manch eine witzige Anekdote zu lesen ist), gerade die ‚Woche der Freundlichkeit’ ausgerufen, die sich darin niederschlug, daß in U- und S-Bahn nach dem lautsprecherverzerrten ‚Z’rücktreten’ ein gepresstes ‚Bit-te’ hörbar widerwillig nachgeschoben wurde – wie anders inzwischen! Gut, in der U- und S-Bahn hört man jetzt, wie anderorts auch, ein ‚zurückbleiben bitte’, obwohl sich der Paranoiker noch nie gerne attestieren ließ, er sei zurückgeblieben, aber ansonsten ist der jemeine Berliner aufgeschlossen, hilfreich und gut. Sogar die Bettler sind höflich und bedanken sich für ein paar Groschen. Und dem Paranoiker ist es sogar zweimal passiert, daß er auf der Straße mit ‚Probleme?’ angesprochen wurde. Sein ‚Nee, wieso’ wurde dann mit einem ‚Na, se ham so fragend ausjesehn’.

Teil 2

 

App-less

Wenn das „alte“ Handy, nach einem guten Jahr nicht mehr richtig funktioniert, die Software sich ständig aufhängt und das Gerät immer öfter einfach nur abhängt, dreimaliges Einsenden mit „erfolgreicher“ Reparatur auch  keine Verbesserung bringt, dann bleibt nur Eines: Ein Neukauf!
Na, dann mal eben schnell rüber zum Markt mit dem Planetennamen gehuscht und einfach zuschlagen, so schlecht können die Dinger ja mittlerweile nicht mehr sein.
Doch hoppla, da warten bestimmt gefühlte 560 verschiedene Modelle in allen Farben und Preislagen in zwei langen Regalreihen und alle scheinen zu schreien: „Nimm mich – ich bin genau das, was du brauchst!“
Natürlich komme ich da ins Grübeln: Vielleicht doch mal ein Smartphone, mit dem ich bequem überall meine Emails abfragen kann, jederzeit hochauflösende Fotos schießen oder Videos in HD aufnehmen und gleichzeitig Musik von meinem Webspace streamen und endlich mal Gesichtsbuch und Gezwitschere sehen und hören und fühlen können!
Kurz bevor die Vision der schönen neue Medienwelt den Kopf verdreht kommt ein pickelgesichtiger Jüngling mit einem Vereins-T-Shirt auf mich zu und glaubt schon zu wissen, was wirklich zu mir passt. Ein Apple-Typ scheine ich nicht zu sein, meint er treffend und dann empfiehlt er mir ohne Umweg das neue HTC, das übrigens klaglos stundenlang HD-Videos abspielt. Auf meine Frage welche das denn wären, weiß er irgendwie keine rechte Antwort!
Spätestens jetzt ist allerdings meine Entscheidung gefallen – er meint es ja bestimmt gut – aber ich muss jetzt erst einmal zurück nach Hause zum gründlichen Nachdenken.

Dort habe ich sehr schnell eine Erleuchtung: Ich entferne die Simmkarte aus meinem maroden Samsung und stecke sie in das fast schon in Vergessenheit geratene Altgerät von BenQ, das noch in der Schreibtischschublade liegt! Kennt einer noch die Marke?
Der Akku lässt sich problemlos aufladen und schon nach zwei Stunden kann ich wieder mobil telefonieren! Das ist es nämlich, was ich eigentlich wollte und das ist auch der Grund, warum ich immer noch frei von jeglichen Apps bin und wahrscheinlich auch bleiben werde.

Der Versuchung einen Account bei Facebook einzurichten, nur weil mein neues Handy das vielleicht anzeigen könnte, bin ich nun also doch nicht erlegen! Wie lange noch? Wer weiß?